7. Evolution von Technologien

In der Bouri Formation im Hochland von Äthiopien wurden Fossilien verschiedener Australopithecinen und Homo-Fossilien gefunden. Als besonders aufschlussreich gelten jedoch die vielfältigen Hinweise auf die Benutzung von Werkzeugen. Insbesondere Schab- und Schnittmarken auf knöchernen Fossilien von Tieren gelten als Zeugnis der Werkzeugbenutzung zur Zerlegung erlegter oder tot aufgefundener Tiere. Zudem wurden einfache steinerne Faustkeile gefunden, die wohl als Instrumente im Einsatz die Schab- und Schnittmarken auf den Tierkknochenfossilien verursacht hatten. Solche Faustkeile werden allgemein als „Oldowan-Werkzeuge“ bezeichnet, nach der Kenianischen Olduvai-Schlucht, wo erstmals derartige Faustkeile gefunden worden waren.

 

Werkzeugbenutzung ist auch bei unseren Verwandten beschrieben worden, so benutzen Schimpansen zum Beispiel lange spitze Stöcke, um Termiten aus deren Bau zu ziehen. Aber auch ferner verwandte Affen benutzen zuweilen Werkzeuge, so ist z.B. beschrieben, dass auch Kapuzineraffen Instrumente benutzen, z.B. Steine zum Öffnen von Nüssen. Auch unsere menschlichen Vorfahren könnten Steine zum Nüsseknacken benutzt habe, aber auch zum Knacken von Tierknochen, um an das nahrhafte Knochenmark heranzukommen. Lange Zeit waren unsere Vorfahren nicht an der Spitze der Nahrungskette, sondern eher irgendwo in der Mitte, weshalb sie sich wohl oft mit dem begnügen mussten, was von den Spitzenprädatoren übriggelassen worden war. Da war es gut, wenn man die Fleischreste abschaben konnte und auch die liegengebliebenen Knochen aufbrechen und somit optimal verwerten konnte. Wahrscheinlich wurden schon von Australopithecinen Werkzeuge benutzt, zumindest in dem Maße, wie wir Werzeugbenutzung auch bei heute lebenden Affen beobachten können. Ein besonderer kultureller Schritt muss die Etablierung spezialisierter Werkzeuge zur dauerhaften praktischen Nutzung gewesen sein. Anfangs vielleicht nur ein besonders günstig geformter Stein, der von unserem Vorfahren an wiederauffindbaren Stellen aufbewahrt oder vielleicht sogar mitgeführt wurde. Dies würde 2 kulturelle Entwicklungen implizieren, erstens die von gezielter Wekzeuganpassung an Erfordernisse und zweitens das an sich Nehmen von Artefarkten als individuellen oder kollektiven Besitz.

 

Vor etwa 1,75 Millionen Jahren wurden größere Handfaustkeile von Hominiden-Vorfahren, wahrscheinlich der Art „Homo errectus“ angefertigt, die heutzutage als Acheuléen Faustkeile bezeichnet werden, benannt nach Saint-Acheul bei Amiens, wo diese Faustkeile erstmals gefunden und beschrieben wurden. Wir müssen aber davon ausgehen, dass die meisten von unseren Vorfahren genutzten Alltagsgegenstände aus Holz, Fasern, Tierknochen, Fellen und Sehnen bestanden, die im Gegensatz zu Steinen nicht über die Jahrtausende überdauerten, die zwischen ihrem Gebrauch und heute liegen.

 

Zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt wurden etwa 320.000 Jahre alte Alltagsgegenstände in einem Braunkohletagebau (Schöningen) gefunden. Bemerkenswert sind die gut erhaltenen Holzspeere, die durch günstige geologische Umstände vom Zerfall verschont blieben (67). Die Schöninger Ausgrabungsstätten sind als paläo-archäologischer Glücksfall zu sehen: Sogar Insektenflügel und Eierschalen sind erhalten. Dies ist wohl mehreren günstigen Umständen zu verdanken: Dadurch, dass die Artefarkte immer im Wasser lagen bzw. am Grund des Sees ins Sediment sanken, waren sie permanent vor Sauerstoff und Zersetzung durch Mikroorganismen geschützt. Durch den Fund eines Artefarktes wird dieser den schützenden Sedimenten entrissen, weshalb Zerfall droht. Die Ausgrabungen in einem als Terasse in den Tagebau ragenden Areal gehen weiter und fördern immer wieder interessante Artefarkte zu Tage. Vor 320.000 Jahren gab es den modernen H. sapiens noch nicht (oder wenn, dann sehr frühe Vertreter der Art). Die in Schöningen gefundenen Alltagsgegenstände werden dem H. heidelbergensis zugeordnet, der von vielen Paläontologen als Vorfahre der Neandertaler oder gar als letzter gemeinsamer Vorfahre von H. sapiens und H. neanderthalensisangesehen wird.

 

In den etwa 300.000 Jahren seiner Existenz waren die technischen Fortschritte des Homo sapiens die längste Zeit überschaubar. Unterkünfte wurden aus den verfügbaren Baumaterialien, in der Regel Holz, Stein, Lehm, Blätter, Tierknochen, Tierhäute und Felle gefertigt. Jeder Mensch hatte nur sehr wenige Gegenstände in seinem Leben und lange Zeit war das Konzept, einen Gegenstand dauerhaft besitzen zu können, eher schwach ausgeprägt. Technologisch waren wohl die größten Entwicklungsbeschleuniger die Sesshaftwerdung und die Energierevolution, die durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe eingeleitet wurde. Die Sesshaftwerdung wird auch als neolithische Revolution bezeichnet. Die ersten Menschen, die diese bemerkenswerte Verhaltensänderungen der Art Homo sapiens vor etwa 13.000 Jahren an den Tag legten, lebten im Mittleren Osten, in einem Gebiet, das in der Geschichtsschreibung als fruchtbarer Halbmond bezeichnet wird. Die industrielle Revolution begann in England in der Mitte des 18. Jahrhunderts.

 

Die Sesshaftwerdung des Menschen (Neolithische Revolution)

Vor 13.000 Jahren war der heute durch Wüsten und Halbwüsten charkterisierte Mittlere Osten fruchtbarer und wasserreicher als heute. Wie überall auf der Welt lebten die verstreuten Homo sapiens Grüppchen als Jäger und Sammler, also immer in Bewegung auf der Suche nach essbaren Pflanzen und jagdbaren Tieren und häufig wechselnden Nachtlagern, je nachdem, wo gerade Nahrungspflanzen oder Tiere gefunden werden konnten. In schlechten Zeiten übernachteten sie manchmal täglich an anderen Orten. In guten Zeiten oder an guten Orten verbrachten sie Wochen, gar Monate.

 

Die Domestizierung von Pflanzen (Kultivierung)

Offenbar gab es im Mittleren Osten vor 13.000 Jahren einige einladende Orte, wo sich unsere Vorfahren wohl fühlten und längere Zeit verweilten. Wahrscheinlich lagen solche Orte an einem Fluss, der Tiere anlockte und Fische führte, dessen Ufer mit fruchtreichen Büschen und Bäumen bestanden waren und in dessen Nähe jene seltsamen Gräßer wuchsen, deren Köpfe kleine Kerne enthielten, die zwar kleiner als Nüsse, aber deutlich zahlreicher verfügbar und essbar waren. Wenn man sie vor Wasser schützte, konnte man die Kerne sogar aufbewaren und erst später essen. Wenn sie feucht wurden, konnte es aber passieren, dass solch ein Kern aufging und etwas Grünliches hervorkam – ein Spross. Ob unsere Vorfahren dies als das Keimen eines neuen Getreidehalms erkannten, oder einfach jemand die Beobachtung machte, dass an Stellen, wo Getreidekörner auf die Erde gefallen waren, später Halme sprießten, werden wir wohl nie erfahren. Sicher ist nur, dass sie erkannt hatten, dass, wenn man die dicken Körner dieser Gräßer auf dunkle weiche und etwas feuchte Erde streute, hier später neue Exemplare ebendieser Gräser entstanden. Im Mittleren Osten waren Weizenarten und Gerste anzutreffen und wir gehen davon aus, dass ebendiese die ersten vom Menschen kultivierten Getreidearten waren. Feldbau als Kulturtechnik konnte sich auf der eurasischen Landmasse gut nach Osten und Westen ausbreiten, also entlang ähnlicher Breitengrade mit entsprechend ähnlichen Bedingungen (Klima, Jahreszeiten, Tag- und Nachtlängen über die Jahreszeiten) (36). Dadurch, dass der Homo sapiens Gras-Getreidesorten mit langen Köpfen voll großer, gehaltvoller Kernen bevorzugte, hatten entsprechende Pflanzenarten einen Selektionsvorteil, da der Mensch sie gezielt aussähte und Flächen zu ihren Gunsten von andern Pflanzen befreite. Der Mensch war zum Bauer und Getreidezüchter geworden. Allerdings könnte man auch von der Domestizierung des Homo sapiens durch Pflanzen sprechen, schließlich haben es einfache Gräser geschafft, uns dazu zu bringen alles dafür zu tun, dass sie wachsen und gedeihen, indem wir ihre Samen verbreiten (säen), für Getreide optimierte Lebensräume schaffen (roden, pflügen) und Konkurrenzpflanzen bekämpfen (jäten). Kurzum: Wir machen für das Getreide den Buckel krumm und arbeiten von früh bis spät, haben also unser Leben dem Getreide unterworfen (34).

 

Die längste Zeit der menschlichen Evolution waren unsere Vorfahren nur wenig bedeutsame Affen, die irgendwo im Mittelfeld der Nahrungspyramide angesiedelt waren. Wir erinneren uns an das Taung Kind, ein Australopithecus africanus Kind, das höchstwahrscheinlich Opfer eines Greifvogels wurde, ein Schicksal, das auch heutzutage viele kleinere Affen erleiden. Allein aufgrund seiner körperlichen Merkmale ist auch der Homo sapiens nicht zwangsläufig an der Spitze der Nahrungskette. In dem Roman „Life of Pi“ von Yann Martel (Deutscher Titel: Schiffbruch mit Tiger) findet sich ein junger Mann nach einem Schiffbruch allein mit einem Tiger, einer Hyäne, einem Orang-Utan und einem Zebra in einem Rettungsboot wieder. Nachdem die Hyäne das Zebra und den Orang-Utan getötet hat, wird diese vom Tiger getötet, so dass schließlich die beiden Spitzenprädatoren Homo sapiens und Tiger unter sich sind. Im Roman gelingt es dem jungen Mann, den Tiger zu einem vertrauten Kompanion zu machen, ihn zu domestizieren.

Die Domestizierung von Tieren

Im Zusammenspiel zwischen Menschen und Hunden könnten sich schon lange vor der neolithischen Revolution Domestizierungserscheinungen gezeigt haben. Allianzen zwischen Menschen und Hunden bzw. Wölfen könnten schon vor der Sesshaftwerdung durch Kooperation bei der Jagd entstanden sein. Es besteht sogar die Hypothese, der Homo sapiens könnte durch Jagdallianzen mit Wölfen und den daraus hervorgehenden Hunden einen entscheidenden kompetitiven Vorteil gegenüber dem Neandertaler gehabt haben (30, 31). Aber vielleicht sollten wir nicht immer nur rein utilitaristisch denken. Möglicherweise lagen der Domestizierung einfach nur emotionale Bindungen zwischen Mensch und Wolf oder Hund zu Grunde, also genau, das was Hunde auch heute noch zu beliebten Gefährten macht.

 

Vor etwa 9000 Jahren entstanden größere Siedlungen, Dörfer. Der Ackerbau hatte es möglich gemacht, Überschüsse zu erzielen. Die Bevölkerung wuchs und erhöhte den Ertragsbedarf des Ackerbaus. Inzwischen war es den Menschen aber auch gelungen andere Säugetiere zu ihrem Nutzen zu kontrollieren. Die Domestizierung von Vieh wie Ziegen und Schafen bedeutete, dass Menschen kontrollierten, wohin diese sich bewegten, was sie fraßen und wie sie sich fortpflanzten. Domestizierte Tiere ließen sich kontrollierter nutzen und ausbeuten. Fleisch, Milch, Haare, Häute, Felle, Knochen und Dung (als Baumaterial und Dünger) waren direkt im Hinterhof verfügbar – keine mühsame und gefährliche Jagd, kein Schleppen von Kadavern über Kilometer zum Lager. Dafür musste der Mensch allerdings nun beständig die Tiere hüten, füttern, hegen und pflegen. Die Wildtiere hatten sich zuvor, bis sie erlegt wurden, selbst gepflegt und ernährt. Der ehemals freie Mensch war nun an die Scholle und sein Vieh gebunden. Wer hat hier eigentlich wen domestiziert?

 

Die Kombination aus Pflanzen und Tierdomestizierung schaffte erstaunliche Synergismen. Pflanzen oder die Teile der Pflanzen, die der Mensch selbst nicht aß (z.B, die Getreidestängel) konnten an die Tiere verfüttert werden und deren Dung wiederum zur Düngung der Felder verwendet werden. Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, ein Tier, wahrscheinlich einen Ochsen oder einen Esel, vor ein Stück Holz zu spannen, das dieser dann durch den Ackerboden zieht, während der Mensch es in den Boden drückt, hat mit der Erfindung des Pflugs eine agrartechnologischen Revolution ausgelöst. Mehr Überschusse konnten erwirtschaftet werden und die Bevölkerung konnte weiter wachsen. Tiere konnten aber auch als Transportmittel dienen. Auf Pferden und Eseln kann man reiten. Kurzum: Der Mensch nutzte nicht nur die gegenständlichen Rohstoffe, die die Nutztiere lieferten sondern auch deren Muskelenergie.

 

Folgen geographisch unterschiedlicher Vorraussetzungen für Ackerbau und Viehzucht

Wie kommt es aber, dass manche Kulturen reich sind und als „weiter entwickelt“ betrachtet werden? Oder wie Jared Diamond anfangs in seinem Buch „Guns, Germs and Steel“ den dem Leser als Yali vorgestellten Papua-Neuguineaner zitiert: „Warum habt Ihr Weißen so viele Güter und wir Schwarzen so wenig?“ (36).

 

Noch vor wenigen Generationen hätten besagte Weiße in Papua-Neuguinea, aber auch überall sonst auf der Welt (Afrika, Amerika, Ostasien), dies mit der Überlegenheit der weißen Rasse erklärt. Durch diese angeblichegenetische Überlegenheit der weißen Kolonialisten (Rassismus) mussten diese sich nicht der Frage stellen, wie ihre Macht über die heimischen Menschen sich ethisch und moralisch rechtfertigen ließe. Eine weitere Vergewisserung der eigenen Überlegenheit wurde durch eine metaphysisch-religiöse Argumentation hergestellt (Missionierung der Einheimischen zu deren Seelenrettung). Obgleich beide Argumentations­linien einer kritischen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit kaum stand­halten können, waren sie in der Vergangenheit sehr erfolgreich. Mechanismen evolutionärer Selektion sind nicht ethisch wertend. Es setzt sich durch, was sich durchsetzt. Rassismus und religiöser Missionierungseifer waren offenbar (zumindest phasenweise) sehr starke Durchsetzungsmechanismen. Inzwischen kann man sie nicht mehr offen einsetzen (wobei der Missionierungsgedanke nach wie vor sehr lebendig ist und zur Ausbreitung von Religionen führt, in der Regel mit wenig Toleranz gegenüber anderen Religionen).

 

Die Stärke und Überzeugungskraft einer Idee ist vollkommen unabhängig davon, ob sie richtig ist. Ganz im Gegenteil: Möglicherweise hat sich der Mensch die Erde durch seine Fähigkeit, an nicht existente, nicht-objektivierbare Entitäten (z.B. Religion, Nation, Firma, Geld) zu glauben, unterworfen. Wissenschaftlich sind weder Rassismus noch die Überlegenheit einer Religion objektivierbar. Dennoch haben sie immer wieder Armeen motiviert, andere Völker zu überfallen, zu unterjochen und deren Ressourcen auszubeuten. Der unterliegende Rassismus oder das religiöse Berufenheitsgefühl verliehen den Aggressoren nicht nur ein Machtinstrument, sondern sorgten wohl auch für ein Gefühl, das man sich nur nehme, was einem aufgrund der eigenen überlegenen Stellung zustehe. Für eine dauerhafte Unterjochung und Ausbeutung anderer Menschengruppen bedarf es dann eines Unterdrückungsapparat mit Militär- und Geheimdienstkräften und gegebenenfalls ein paar „Schlägern für’s Grobe“. Rassismus und religiöse Überlegenheitsgefühle werden heutzutage in aufgeklärten Gesellschaften als unrecht und verwerflich abgelehnt. Den Reichtum anderer Länder und Völker kann man aber nach wie vor ausbeuten, auch wenn keine eigene Miliärpräsenz vor Ort gehalten wird. Die kost­spie­ligen Verwaltungs- und Militärapparate vor Ort kann man sich sparen, wenn man mächtige internationale Privat­unter­nehmen agieren lässt, die mit vom Rohstoffgeschäft profitierenden lokalen Eliten zusammenarbeiten.

 

Rassismus und religiöse Berufenheitsargumente können wir also getrost bei Seite schieben, wenn wir uns fragen, warum sich in manchen Gesellschaften ein enormer technischer Fortschritt entwickelt hat und in anderen nicht. (Die Frage, inwiefern die „Entwicklung“ das Überleben der Menschheit selbst verkürzen wird, sei hier einmal ausgeklammert). Jared Diamond macht für die verschiedenen Entwicklungen von Gesellschaften unterschiedliche geographische Voraussetzungen und die damit verbundenen Zufälle verantwortlich. Vom fruchtbaren Halbmond breiteten sich die Kulturtechniken des sesshaften Bauernlebens auf dem eurasischen Kontinent aus. Neben dem fruchtbaren Halbmond gab es nur wenige andere Orte auf der Welt, in denen die Menschen in einer unabhängigen Entwicklung von Jägern und Sammlern zu sesshaften Bauern wurden. In China begannen die Menschen vor etwa 9000 Jahren Reis anzubauen. In Süd- und Mittelamerika gab es vor etwa 5000 Jahren Kulturen, die Mais, Kürbisse und Bohnen kultivierten. Aufgrund der geographischen Isolation der amerikanischen Landmassen können wir sicher davon ausgehen, dass diese Anbauarten sich autochthon entwickelt hatten. In Westafrika und im äthiopischen Hochland kam es zu autochthoner Kultivierung von Hirsearten und Yams. In viele Regionen aber hat sich das Bauern- und Hirtenleben wohl aber einfach ausgebreitet. Die Bedingungen für die Ausbreitung waren auf dem eurasisch-afrikanischen Landkomplex besonders gut, insbesondere in Ost-West Richtung entlang ähnlicher Breitengrade mit ähnlichen Nacht-Tag Rythmen und ähnlichen Jahreszeiten.

 

Dabei ging es den Individuen, die als Bauern und Hirten lebten, nicht unbedingt besser als den Jägern und Sammlern. Dennoch setzte sich das Bauern- und Hirtenleben fast überall im direkten Vergleich durch. Die Verdrängung des Jäger- und Sammlerlebensstils erfolgte hierbei entweder durch

  1. Adaptation des entsprechenden Lebensstils (Lernen) in Bauern und Hirtengruppen benachbart lebenden Bevölkerungsgruppen oder durch
  2. Verdrängung (Invasion und Bevölkerungsersetzung) von Jägern und Sammlern durch Populationen, die als Bauern und Hirten lebten.

 

Jared Diamond zählt fünf Faktoren auf, welche die Ausbreitung des Bauern- und Hirtenlebens- unter Verdrängung des Jäger- und Sammlerlebensstils begünstigten.

 

  1. Rückgang und Aussterben wilder Pflanzen und Tiere: Die Ausbreitung des Homo sapiens ist mit drastischen Veränderungen der Flora und Fauna assoziiert. Natürlich sind diese drastischen Veränderungen nicht leicht zu rekonstruieren, da es hierzu kaum schriftliche Aufzeichnungen gibt. (Bestenfalls von menschinduzierten Aussterbeereignissen der jüngeren Vergangenheit wie dem Aussterben des Dodos auf Mauritius nach Ankunft holländischer Seefahrer.). Dennoch scheint das Verschwinden von Großtierfossilien mit dem Auftauchen des Homo sapiens assoziiert zu sein, so z.B. für die Mammuts des Eurasischen Großkontinents.
  2. Zunahme und Ausbreitung von domestizierten/kultivierten und teildomestizierten Pflanzen und Tieren: Durch die gezielte Aussaat hatten die Futterpflanzen der Bauern einen kompetitiven Vorteil gegenüber den wild wachsenden Futterpflanzen der Sammler. Gleichermassen hatten die domestizierten Tiere der Hirten einen kompetitiven Vorteil gegenüber den wilden Jagdtieren der Jäger.
  3. Agrartechnologische Fortschritte, die einen Bauern- und Hirtenlebensstil begünstigten: Die kumulierte Erfahrungen des Bauern im Umgang mit Saatgut (trocken lagern) und der Aussaat (Aufbrechen der Bodenoberfläche und Einpflanzen des Saatkorns) inspirierten zu Verfeinerung der Verfahrensweise mit einhergehender Effizienzsteigerung (Systematisches Roden, Pflügen, Aussähen, Düngen und Bewässern). Die Effizienzsteigerung führte zu Ertragssteigerung mit Überschußproduktion von Nahrungsmitteln, welche die Grundlage für einen weiteren Faktor legte:
  4. Schnelleres Bevölkerungswachstum in Bauern- und Hirtengesellschaften

Die Nahrungsüberschußproduktion in Bauern- und Hirtengesellschaften führte zu Bevölkerungswachstum. Bevölkerungswachstum führte zu weiterer Steigerung  der Nahrungsmittelproduktion, wodurch die Bauern- und Hirtengesellschaften und deren Anbauflächen immer mehr Raum einnahmen, was zum fünften (und ultimativen) Faktor der Ausbreitung des Bauern- und Hirtenlebens und der Verdrängung des Jäger- und Sammlerlebensstils führt:

  1. Verdrängung von Bevölkerungsgruppen, die als Jäger und Sammler lebten durch Bauern- und Hirtengesellschaften:
    1. Da Bauern- und Hirtengesellschaften Überschüsse produzierten, wuchsen deren Gesellschaften, so dass sie bei direkten gewaltsamen Auseinandersetzungen zahlenmäßig überlegen waren.
    2. In Bauern- und Hirtengesellschaften kam es vermehrt zu Aufgabenteilung und damit zu Spezialisierungen, die zu Überlegenheit bei gewaltsamen Konflikten führten, z.B. durch durch Waffentechnik oder speziell trainierte Krieger.
    3. Auch ohne Gewalt konnten Bauern- und Hirtengesellschaften die weniger schnell wachsenden Populationen der Jäger und Sammler demographisch nach und nach über wenige Generationen verdrängen.

 

An dieser Stelle kehren wir noch einmal zur Grundfrage von Diamonds Buch „Guns, Germs & Steel“ zurück: Der Frage des Papua-Neuguineaners Yali an den Amerikaner Jared: „Warum habt Ihr Weißen so viele Güter und wir Schwarzen so wenig?“. Die Landwirtschaft in Papua Neugeuinea blieb über Jahrtausende mehr oder weniger unverändert, stabil: Keine Neuerungen, die man im Rückblick als Fortschritt bezeichen würde. Diamond argumentiert, dass Nahrungsmittelüberschusserwirtschaftung durch die Bauern die Vorraussetzung ist, damit sich einige Mitglieder der Gesellschaft anderen Aufgaben zuwenden können, wenn deren Ernährung durch die Überschüsse der Bauern gesichert werden kann. In Neuguinea wurden jedoch niemals Überschüsse erzielt. Schuld daran waren demnach die aufgrund der natürlichen Gegebenheiten auf Neuguinea verfügbaren, kultivierbaren Pflanzen. Archäologen gehen davon aus, dass die Menschen auf Neuguinea seit fast 10.000 Jahren Ackerbau betreiben. Damit gehörten sie zu den ersten, die von Jägern und Sammlern zu Bauern wurden. Allerdings gab es auf Neuguinea keine so leicht kultivierbaren Pflanzen wie im fruchtbaren Halbmond Vorderasiens. Die wichtigsten Feldfrüchte Neuguineas, wie z.B. Tarotwurzeln, verlangten den Menschen viel mehr Arbeitseinsatz ab. Tarotwurzeln muss man einzeln anlegen, also ein Loch graben und den Setzling einsetzen, während Getreidekörner einfach nur auf fruchtbaren Boden geworfen werden müssen. Zudem waren Neuguineanische Feldfrüchte kaum langfristig lagerbar, so dass die Landwirtschaft Jahrtausende lang eine „Von der Hand in den Mund“- Landwirtschaft blieb, die keine Überschüsse und Vorräte erwirtschaftete.

Die Industrielle Revolution

Das Erwirtschaften von Überschussen in der Landwirtschaft spielte wohl auch bei der industriellen Revolution eine massgebliche Rolle. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Landwirtschaft in England durch geschicktes Düngen, Intensivierung und Maschineneinsatz effizienter und ertragreicher, was wiederum zu einem Wachstum der Bevölkerung führte, was wiederum zur landwirtschaftlichen Ertragssteigerung führte, was wiederum zum Wachstum der Bevölkerung führte, und so weiter. Wachstum wurde zum Fetisch moderner Ökonomien. Aber mehr Menschen benötigen nicht nur mehr Lebensmittel, sondern auch mehr an anderen Gütern, insbesondere Kleidung. Nicht umsonst gilt der mechanische Webstuhl als Sinnbild der industriellen Revolution.

 

Eine Triebkraft der Industrialisierung war also das Bevölkerungswachstum mit entsprechender Erhöhung der Nachfrage nach Gütern und Arbeitskräften zu deren Herstellung, also der Übergang von einer (nachhaltigen) Erhaltungsökonomie zu einer (nicht-nachhaltigen) Wachstumsökonomie. Eine weitere Triebkraft war Energie. Bis zur Industrialisierung nutzte der Mensch das Feuer (Verbrennungsenergie) zur Erzeugung von Wärme und mechanische Muskelenergie (von Mensch und Tier) zur Erzeugung von Bewegungsenergie zur (Fort-)Bewegung von Mensch, Lasten und Erde (Pflug). Mit der Erfindung der Dampfmaschine konnte Wärmeenergie in mechanische Bewegungsenergie ungewandelt werden, mit der z.B. die mechanischen Webstühle zur Massenproduktion von Textilien betrieben wurden. Für frühindustrielle Anlagen, z.B. Mühlen, war man auf Wasserkraft von Flüssen angewiesen. Mit der Dampfmaschine konnten Fabriken unabhängig von der Wasserkraft errichtet werden.

 

Eisenbahnen und Dampfschiffe beschleunigten das Reisen und erleichterten den Gütertransport über große Entfernungen. Hierdurch konnte die Massenproduktion in große Fabriken verlagert, also zentralisiert werden. Lokale Handwerker, wie der Dorfschuster oder der Dorfschneider konnten mit den billigen, in Fabriken hergstellten Waren nicht konkurieren und gingen ein. Hier liegt eine weitere Triebkraft der Industrialisierung: Die schöpferische Kraft der Zerstörung und des Konsumkapitalismus (1, 68). Nicht mehr der Bedarf an Gütern bestimmt die Produktion sondern die nachfrageabhängige Monetarisierbarkeit, also, ob und wie sich Geld erwirtschaften lässt.

 

Globaler „The winner takes it all“ Kapitalismus

Im Kapitalismus lassen sich ähnliche Selektionsmechanismen erkennen  wie bei der evolutionären natürlichen Selektion und entsprechend setzen sich im Kapitalismus nicht unbedingt die besten und zweckmäßigsten Technologien durch, sondern die, welche sich rasch verbreiten, also „sich vermehren“. Der freie Markt ist allerdings mitnichten frei von äußeren Kräften und sorgt deshalb auch nicht dafür, dass sich das beste Produkt bzw. das Produkt mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis beim Kunden durchsetzt. Gerade in modernen Ökonomien, in denen auf lokaler Ebene bestenfalls noch der Verkauf stattfindet, spielen Werbung und Marktmacht eine wichtigere Rolle also Güte und Qualität des Produkts. Das geht inzwischen so weit, dass heutzutage eine handvoll global operierender Konzerne einen Rest von Konkurrenz vorgaukeln oder ein einzelner Konzern einen Bereich vollkommen dominiert. Bizarr erscheint hierbei z.B. die globale Dominanz von Weltkonzernen wie Amazon oder Alibaba, die selbst keine Produkte erschaffen haben, sondern lediglich einen Großteil der globalen Vertriebswege monopolisiert haben und die „Plattformökonomie“ dominieren.

 

Die Verbrennung fossiler Brennstoffe

Wenn irgendwo ein Wildfeuer ausbricht, im Wald oder in der Steppe, versuchen sich Tiere in Sicherheit zu bringen. Dies gilt für Huftiere, Katzen und sicherlich auch Affen. Beutegreifer versuchen vielleicht von dem entstandenen Chaos zu profitieren und fliehende Beutetiere zu schlagen, jedoch wird sich kaum eine Raubkatze zu einem Feuer hinbewegen. Bei größeren Feuern wäre dies schon allein aufgrund der Hitzeabstrahlung nicht möglich. Dennoch gelang es unseren Vorfahren, das Feuer nutzbar zu machen.  

Feuer

Feuer wird gerne verwendet um Spuren auszulöschen und aufgrund dieses verzehrenden Charakters des Feuers sind Spuren von Feuer in der prähistorischen Forschung nicht so zahlreich erhalten wie z.B. Steinwerkzeuge. In Koobi Fora, einer wichtigen prähistorsichen Aussgrabungsstätte in Kenia, konnten Überreste von Feuerstellen nachgewiesen werden, die vor etwa 1.5 Millionen Jahren benutzt wurden, höchstwahrscheinlich von unseren Vorfahren der Art Homo erectus. Die Lage der Fundstücke deutet auf ein damals auf einem kleinen Fleck, also wahrscheinlich gut kontrolliert in einer Feuerstelle brennendes Feuer hin (69). Leider wurden in der Umgebung (noch) keine Homo erectus Knochenfossilien gefunden, sondern lediglich ein paar Fossilien von Paranthropus boisei, ein Australopithecine, der etwa vor 2,3 bis 1,4 Millionen Jahren vor unserer Zeit lebte. Etwa 1 Millionen Jahre alte Feuerreste wurden in der Wonderwerk Höhle in Südafrika gefunden. Hier wurden verbrannte Pflanzen und Knochenreste entdeckt, sowie komplex behauene Faustkeile, die an anderer Stelle mit Homo erectus assoziiert worden waren (70).

 

In der Braunkohletagebaufundstelle Schöningen in Niedersachsen (Schöninger Speere) wurden Spuren gefunden, die darauf hindeuten, dass die vor 300-400.000 Jahren hier lebenden Homo heidelbergensisMenschen Feuer nutzten. Allerdings wird angezweifelt, ob die gefundenen Spuren tatsächlich als Belege für die kontrollierte Benutzung von Feuer durch Menschen gedeutet werden können  (71).

 

Ob es den Vorgängerarten des Homo sapiens schon gelang, das Feuer endgültig zu zähmen und kontrolliert zu nutzen, also ob sie in der Lage waren, Feuer bei Bedarf zu entfachen, oder zumindest, wenn dies ihnen nur mit großen Schwierigkeiten gelang, dauerhafte Feuer zu unterhalten, wissen wir nicht. Sicher sind wir uns dennoch, dass der Homo sapiens nicht als einzige Menschenart das Feuer beherrschte: Für den Neandertaler gilt die weitverbreitete Nutzung des Feuers als gesichert (72).  Wahrscheinlich waren die ersten Ansätze zur Beherrschung des Feuers Zufällen geschuldet: Ein kleines, zugängliches Restfeuer nach einem Buschbrand, ein frisches Feuer durch Blitzschlag, das noch nicht so groß geworden war, dass die Hitzeabstrahlung unsere Vorfahren auf Distanz hielt. Zweifellos war auch ein sehr mutiges Individuum nötig, dass die eigenen Fluchtinstinkte überwand, sich dem Feuer näherte und einen brennenden Ast in die Hand nahm. Der nächste Schritt wäre nun, das Feuer in einen Dauerzustand zu überführen.

 

Wenn nur ein einzelnes Feuer brennt, ist das Risiko, dass dieses ausgeht, groß. Wir können über die Umstände der Feuerverfügbarkeit unserer Vorfahren nur spekulieren. Ich vermute, dass die Nützlichkeit und Wichtigkeit des Feuers unseren Vorfahren sicherlich bewusst war. Vielleicht hat eine Gruppe, sobald sie über Feuer verfügte, mehrere Feuertstellen eingerichtet, die von Untergruppen bewacht wurden, so dass, wenn ein Feuer doch einmal ausging, ein Scheit von einem anderen Feuer verwendet werden konnte. Es ging also sprachbildlich darum, mehrere „Eisen im Feuer“ zu haben, indem die Gruppe mehrere Feuer unterhielt. Vielleicht war das Feuer auch der Anlass dafür, zwischen Gruppen zu kooperieren, gar erste Abkommen zu schließen, nämlich die gegenseitige Versicherung, sich mit Feuer auszuhelfen, wenn dies Mal nötig würde. Das kooperative Element der Evolution wird leider immer etwas vergessen, während die Konkurrenz ganz selbstverständlich erscheint (73).

 

Irgendwann erlangte der Mensch die Fähigkeit, selbst Feuer zu entfachen. Bei der etwa 5200 Jahre alten Gletschermumie „Ötzi“ wurde Zunderschwamm gefunden (ein getrockneter Pilz, der zum Anfachen eines Feuers nützlich ist) und feine Schwefelkiesspuren weisen darauf hin, dass Ötzi Pyrit oder Markasit Steine mitführte (74). Ötzi ist allerdings ein Vertreter aus der Jungsteinzeit, also einer Epoche, die in menschheitsgeschichtlichen Zeitdimensionen einen Wimpernschlag vor der Moderne lag. Ob Homo erectusschon in der Lage war, selbst Feuer zu entfachen, ist fraglich. Wer jemals als Jugendlicher bei den Pfadfindern versucht hat, ohne Streichhölzer und Feuerzeug ein Feuer zu entfachen, weiß, dass dies alles andere als banal ist.

 

Die Verkleinerung der Zähne der sich entwickelnden Menschenarten wird gerne als Hinweis auf Kochen und Garen zur Nahrungsvorbereitung gewertet, da durch das Feuer die Nahrung leichter kau- und verdaubar wird. Allerdings wird dadurch die Abhängigkeit des Menschen vom Feuer größer. Wir müssen also davon ausgehen, dass das Feuer für den Menschen eine zentrale und immer wichtigere Rolle spielte, so dass irgendwann auch immer mehr „Energie“ in die Entwicklung der Fähigkeit, Feuer zu entfachen gesteckt wurde, bis schließlich Feuersteine und Zunder zur Standardausrüstung der ansonsten wenig Artefarkte mit sich führenden Urmenschen wurde.

 

Die meiste Zeit seit der Beherrschung des Feuers wurde es lediglich als Licht- und Wärmequelle und zum Kochen benutzt. Als Brennstoff diente Holz, welches zum Wachsen die Energie der Sonne nutzte. Wenn wir Holz verbrennen, setzen wir also diese Sonnenenergie wieder frei. Die Umwandlung von Energie als elaborierte Form der Beherrschung des Feuers trieb auch die Industrialisierung voran.

 

Im präindustriellen Handwerksbetrieb wurden Holz und Kohlefeuer verwendet, z.B um Brot zu backen, Backsteine zu härten, Metalle zu gewinnen und zu verarbeiten (Schmiede) oder einfach nur Platz zu schaffen (Rodungsbrand). Des Weiteren wurden Wasser- und Windkraft zum Betreiben von Mühlen verwendet. Gegenüber Wasser- und Windkraft haben Holz und Kohle den Vorteil der Transportierbarkeit und der Unabhängigkeit von natürlichen Wasser- und Windschwankungen. In der Frühzeit der Industrialisierung waren Braun‑, Stein- und Holzkohle die wichtigsten fossilen Brenn­stoffe. Die Dampfloks verfeuerten solide Brennstoffe, also Kohle, Holz und Holzkohle, die in einem Tender am Heck der Dampflok oder in einem eigenen Kohlewagen mitgeführt wurde. Um diesen zu bestücken war Muskelarbeit gefragt, nämlich wenn die Kohle in den Tender geschaufelt werden musste. Mit dem Erdöl gab es einen flüssigen fossilen Brennstoff, der einfach gepumpt werden konnte und nicht mehr geschaufelt werden musste und zudem leichter in Tanks statt in Tendern gelagert und mitgeführt werden konnte.

Das Zeitalter der fossilen Brenstoffe (seit Mitte des 18. Jahrhunderts)

Fossile Brennstoffe sind stark kohlenstoffhaltig. Durch das Absterben von Pflanzen, Tieren und Kleinst­lebewesen in grauer Vorzeit entstanden Erdöl, Erdgas, Torf, Braun- und Steinkohle. Kohle entstand durch Ver­rottung von Pflanzen am Grunde von Mooren unter Luftabschluss. Durch die fol­gende Absenkung des verrotteten Materials in tiefere Erdschichten und Über­lagerung durch neue Erdschichten erhöhten sich Kompressionsdruck und Tem­pera­tur. So entstanden stark verdichtete kohlenstoffreiche Verbindungen. Steinkohle ist dicht und rein, Braunkohle weniger verdichtet, un­reiner und schwefel­haltiger. Deshalb gilt die Verbrennung von Braunkohle als schmutzige, kohlenstoffemissionreiche Art der Energie­erzeugung.

Das meiste Erdöl und Erdgas, das wir heute fördern entstand vor etwa 150 Millionen Jahren (als die Dinosaurier die Erde beherrschten ) aus zu Schlamm verrottetem organischem Material aus Algen,  und Mikroorganismen. Durch Überlagerung und Absenkung gelangten diese kohlenstoffreichen organischen Rückstände in tiefere Schichten, wo Druck und Temperatur einwirkten und für eine Umwandlung in flüssige (Erdöl) und gasförmige Aggregatzustände (Erdgas) sorgten. Erdgas hat einen hohen Methan­anteil. Methan ist unverbrannt ein potentes Treibhausgas. Dennoch gilt Erdgas als sauberer als andere fossile Brennstoffe, da es sehr effizient mit wenig Freisetzung des Treibhausgases Methan oder anderer Schadstoffe verbrennt.

Anders als Wind und Wasserkraft sind fossile Brennstoffe transportierbar und unmittelbar speicherbar und können somit überall verfügbar gemacht werden. Öl und Erdgas bieten als Flüssigkeit bzw. Gas einige praktische Vorteile gegenüber festen Brennmaterialien, so können sie z.B. durch Pipelines transportiert werden.  Ein Vergleich mit der Sonne fällt allerdings nicht ganz so eindeutig aus, zumindest nicht, seitdem es technisch möglich ist, Sonnenenergie, die ja prinzipiell auch fast überall verfügbar ist, in Batterien zu speichern. Dass Sonnenenergie immer noch ein Nischendasein mit gegenüber fossilen Brennstoffen vernachlässigbarem Anteil am Energeimix fristet, liegt wohl auch an der Marktmacht und der politischen Macht der Ölkonzerne (für Öl werden sogar Kriege angezettelt!).

Dieses Kapitel ist mit Evolution von Technologien überschrieben, was impliziert, dass hier Mechanismen am Werk sind, die denen der evolutionären natürlichen Selektion ähneln. Das mag oftmals der Fall sein, wenn gute Ideen oder Technologien sich ausbreiten, also sich sozusagen vermehren. Allerdings gilt auf Märkten wie in der Evolution, dass sich ausbreitet, was sich repliziert, nicht unbedingt das, was irgendwie subjektiv im Auge des Betrachters als „gut“ empfunden wird. In der globalisierten Wirtschaft haben sich Marktdominanzen und Monopole ausgebildet, die nicht unbedingt direkt auf der Vorteilhaftigkeit des Erzeugnisses für Menschen oder die Menschheit beruhen. Die Menschheit wurde innerhalb der enorm kurzen Zeit von weniger als 200 Jahren absolut ölabhängig und wenn Auswege aus dieser Abhängigkeit sich anboten, wurden diese durch die Monopolmacht von „Big Oil“ im Keim erstickt.

Dieses Wirtschaftsphänomen ist vielleicht am ehesten noch mit dem Überwucherungsphänomen vergleichbar, wenn eine einzelne Pflanzenart alle anderen verdrängt, oder wenn sich eine Bakterienart nach antibiotischer Darmmikrobiomvernichtung unverhältnismäßig vermehrt und die ganze Darmflora überwuchert.

Die ersten Ölquellen in Pennsylvania setzten die Grundlage des Reichtums der Ölbarone, allen voran der Rockefellers. Der Bezug des Familienpatriarchen William Avery Rockefeller zum Öl bestand lediglich darin, dass einige seiner Tinkturen, mit denen er als zweifelhafter Quacksalber über die Lande zog, Öl enthielten. Dennoch war schon mit den ersten Ölfunden viel Geld zu verdienen, denn fast zeitgleich zeigte sich eine Verwendung für größere Mengen Öl. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Städte mit Tranlampen beleuchtet, in denen Waltran verbrannt wurde. Dieser wurde jedoch aufgrunde der Überjagung, insbesondere der Pottwale, zu einer immer teureren Ressource. Das Erdöl kam also gerade rechtzeitig, um als Lampenöl den Waltran zu ersetzen (und das vorzeitige Aussterben einiger Walarten zu verhindern). Dann wurde jedoch die Glühlampe erfunden, die bei oberflächlicher Betrachtung das Potential hatte, der Lampenölindustrie das Licht auszupusten. Stattdessen stand die Ölindustrie erst am Anfang ihres Booms, zumal ja fossile Brennstoffe eine große Rolle bei der elektrischen Energieerzeugung, auch für Glühbirnen, spielen.

Ein Jahr nachdem die Glühbirne in den Massenverkauf eingezogen war, entwickelte Carl Benz einen Motorwagen, dessen Verbrennungsmotor mit Benzin, einem Ölbestandteil, angetrieben wurde. Dieser Motorwagen wurde das erste kommerziell vertriebene Automobil. Wenn wir uns die Entwicklung der ersten „pferdelosen Kutschen“ anschauen erscheint es nur im Rückblick logisch, dass sich hier die Benzinkutschen durchsetzen würden. Dies war keineswegs selbstverständlich, da es zahlreiche elektrisch angetriebene Kutschen gab, die sich durchaus auch hätten durchsetzen können. Ende des 19. Jahrhunderts war London voller Elektrotaxis. Ob es Zufälle waren, die dem Verbrennungsmotor gegenüber dem Elektromotor zum Sieg verholfen haben?

Den entscheidenden Impuls zur Durchsetzung des Verbrennungsmotor brachten reiche Ölfunde in Pennsylvania um 1900, die Benzin zu einem billig und scheinbar unbegrenzt verfügbaren Antriebsstoff machten. Das häufigste Argument, warum sich der Benzinmotor durchgesetzt hat, ist die größere Reichweite der Benzinautos. Aber ist es ein fairer Vergleich, wenn man heutige benzingetriebene Autos, deren Technologie kontinuierlich und überall auf der Welt verwendet, verbessert und weiterentwickelt wurde, mit einer Technologie vergleich, die jahrzentelang nur ein Nischendasein fristete, wie die Elektroautos, an denen einzelne Tüftler arbeiteten? Wer weiß auf welchem Entwicklungsstand die Elektroautos heute wären, wenn deren Entwicklung mit denselben finanziellen Ressourcen vorangetrieben worden wäre wie die der Benzinautos oder die Elektroautos ähnlich gut auf dem Markt platziert geblieben wären.

Interessant ist in diesem Kontext auch das Wirken des Automobilkonzerns General Motors (GM), der zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits eine der größten und mächtigsten Firmen der Geschichte war. Viele amerikanische Städte hatten noch in den 1930er Jahren gut funktionierende öffentliche Nahverkehrssysteme mit Straßenbahnen. GM in Allianz mit Ölfirmen nutzten Wirtschaftsmacht und Monopolstellung, um die Straßenbahnsysteme zu zer­stören und durch Autos, Lastwagen und Busse zu ersetzen. Hierdurch wurden die Profite von GM, also auch der Ölindustrie, auf Jahrzehnte gesichert. In der Praxis kaufte GM über Subunternehmen Straßenbahnbetreiber­gesell­schaften auf, demontierte die Bahnen und ersetzte sie durch Busse aus eigener Produktion. Mit „Greyhound“ wurde eine mit GM-Bussen ausgestattete Überland­bus­linie gegrün­det. Durch politische Ein­flussnahme trieb GM den Ausbau amerika­ni­scher Städte zu Autostädten voran. Städtebaulich kam es zur zunehmenden Trennung der Bereiche Wohnen, Freizeit, Ein­kauf, Gastronomie, Arbeit und Wirtschaft. Um in die­sen weiträumigen Städten wohnen zu können, brauchten Neuzuziehende ein Auto. Der Verkehr nahm immer mehr zu und die Straßen wurden auf Kosten vorher anderweitig genutzter Flächen ausgebaut (75, 76).

Aufgrund der Abhängigkeit der Weltwirtschaft von Öl und Gas hat kaum eine andere natürliche Ressource die Geopolitik der letzten 100 Jahre stärker geprägt als Öl und Gas. Im 20. Jahrhundert wurde Öl in Form von Diesel, Benzin, Schiffsschweröl oder Flugbenzin (Kerosin) der Treibstoff der lokalen, regionalen und internationalen Mobilität. Die strategische Bedeutung wurde insbesondere in Kriegen sichtbar. Ölfördermengen, aber auch Öltransportmengen werden in „Barrels“ angegeben (Barrel = Fass). Ein Öl-Barrel fasst 42 US Gallonen, was etwas weniger als 159 Litern entspricht. Wie bereits beschrieben, fand der erste Ölrausch Ende des 19. Jahrhunderts in Pensylvannia im Nordosten der USA statt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden dann reiche Öllagerstätten in Venezuela und im Mittleren Osten, von der Arabischen Halbinsel über Syrien und den Irak bis Iran gefunden. Die Ölquellen des Mittleren Osten wurden von Englischen Firmen ausgebeutet, die die dortige Bevölkerung gleich mitausbeuteten und nur geringe Anteile der Öl-Bonanza an die Länder, in deren Erde das Öl verborgen lag, abgaben.

Nach Ende des 2. Weltkriegs, in dem die kriesgsstrategische Bedeutung des Öls deutlich geworden war, unterzeichneten die Vereinigten Staaten mit dem Saud-Clan von Saudi Arabien ein Abkommen, dass den Amerikanern den Erstzugriff auf das saudische Öl zusicherte. Im Gegenzug garantierten die Amerikaner für die Sicherheit Saudi-Arabiens, was de facto eine Zusicherung an das Haus Saud war, deren Macht in Saudi-Arabien militärisch abzusichern (notfalls auch gegen das saudische Volk). Die Amerikaner garantierten Saudi-Arabien (dem Haus Saud) 50% der Ölgewinne. Im Iran hingegen verweigerten die Briten den Iranern einen ähnlich fairen Deal, woraufhin der demokratisch gewählte Präsident Mossadegh mit Unterstützung des Parlaments und des iranischen Volks die Ölquellen verstaatlichte. Durch die US-britische Geheimdienstaktion, die unter Operation Ajax bekannt wurde, kauften CIA und MI6 Protestler und organisierten 1953 Massenproteste in Teheran, die schließlich zu einem Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Mossadegh führten und zur Wiedereinsetzung des Shahs, eines absolutistischen Diktators. Lange Zeit als Verschwörungstheorie verschrien, ist nach der Aktenöffnung der Geheimdienstarchive im Jahr 2013 klar, dass es sich bei Operation Ajax um Verschwörungspraxis britisch-amerikanischer Putschanstifter handelte (77). Big Oil ist nach wie vor eine der wichtigsten Säulen des militärisch-industriellen Komplexes mit kausaler Beteiligung an den völkerrechtswidrigen Angriffskriegen gegen den Irak im Jahr 2003 und Lybien 2011 (78). In Lybien stehen im Jahr 2020 die Firmen Saudi Aramco (Saudi-Arabien), Tatneft (Russland), Total (Frankreich) im Lager des US-freundlichen Generals Haftar und somit dem verfeindeten Lager um den Lybischen Ministerpräsidenten Sarradsch mit türkischen Energiekonzernen, Eni (Italien) und Wintershall (Deutschland) gegenüber.

Auf lange Sicht könnte das rasche Abfeuern von Unmengen von Kohlenstoff in unglaublich kurzer Zeit den Fortbestand der Menschheit gefährden. Im Grunde ist in fossilen Brennstoffen die vor Jahrmillionen von Algen und Pflanzen aufgenommene Sonnenenergie gespeichert, die bei der Verbrennung freigesetzt wird. Der Anstieg der Treibhausgase, wobei CO2 und Methan die wichtigsten sind, führt zu dem, was in der Wissenschaft als Treibhauseffekt bezeichnet wird: Die Rückreflektion von Sonnenstrahlen von der Erdoberfläche ins All wird durch höhere Treibhausgaskonzentrationen reduziert. Die Erde erwärmt sich allmählich. Zuletzt kam es zu einer solchen Erderwärmung vor etwa 56 Millionen Jahren, während des Paläo-Eozän-Temperaturmaximums (PETM). Damals stieg die CO2-Konzentration der Atmosphäre von etwa 800 ppm auf über 2000 ppm in einem kurzen Zeitraum von etwa 10.000 Jahren und die Temperaturen stiegen um 5–8 Grad Celsius. Derzeit (Ende 2019) liegt die CO2-Konzentration bei etwas über 410 ppm. Vor 200 Jahren und in den Jahrtausenden davor lag sie noch bei 280 ppm (79). Der derzeit stattfindende Anstieg erfolgt also deutlich schneller als vor 56 Millionen Jahren. Im PETM vewandelte sich die Erde in eine grüne Hölle mit dichtem Pflanzenwachstum und tropischer Vegetation weltweit. Können wir uns also damit trösten, dass der derzeit stattfindende CO2-Anstieg das Pflanzenwachstum ankurbelt und somit das Nahrungsangebot auf der Erde sogar verbessern könnte? Würde das Pflanzenwachstum nicht auch zu einer Kompensation führen, da Pflanzen Kohlenstoff absorbieren und somit die CO2-Konzentrationen senken könnten? Dies wird wohl eher nicht der Fall sein, da unsere Art dies verhindert, ja die bestehenden Wälder und Grünflächen weltweit zurückgehen, um für urbane Siedlungsflächen oder landwirtschaftliche Nutzflächen Platz zu machen oder von sich ausdehnenden Wüsten und Trockenregionen reduziert werden. Dabei könnte Wassermangel die Landwirtschaft in vielen Regionen der Welt einschränken. Immerhin sind großangelegte Waldpflanzaktionen in China und in Afrika in Gang gekommen und mit jedem neuen Setzling keimt auch etwas Hoffnung auf.

 

Möglicherweise hat der Homo sapiens als Art nicht mehr lange Bestand. Aber vielleicht kann unsere Art auch über das Ableben hinaus im Guten wie im Bösen die Evolution beeinflussen. Das von uns derzeit „veranstaltete“ Massenaussterben wäre hier zweifellos zu nennen. Aber vielleicht erschaft der Homo sapiens neben atomaren Abfällen ja auch noch etwas anderes, das die Existenz der Art überdauert und die Evolution über den Fortbestand der Art hinaus prägt: Künstliche Intelligenz.