15. Demographie und Aussterben
Je größer eine Population einer Art ist, desto weiter sollte sie davon entfernt sein auszusterben. In einer linearen Gedankenwelt mit simpel kontruierten Direktkausalitäten mag dies plausibel erscheinen. Allerdings ist die große menschliche Population (die Weltbevölkerung erreichte im Jahr 2019 etwa 7,7 Milliarden Menschen) Ergebnis exponentiellen Bevölkerungswachstums in einer recht kurzen Zeit von wenigen hundert Jahren. Die für unsere Leben und Überleben notwendigen Ressourcen sind jedoch endlich. Exponentielles Wachstum in einem begrenzeten System kann nicht unbegrenzt erfolgen.
Über das Aussterben des Homo sapiens
Jeder Art stirbt irgendwann einmal aus. Möglicherweise entzieht sich der Homo sapiens gerade durch Ausbeutung der Ressourcen und Veränderung der Biosphäre („Klimawandel“) die Lebensgrundlage. Zu diesen, almählich bedrohlich werdenden Prozessen, kommen weitere Bedrohungen akuter Vernichtung hinzu, darunter die atomarer und biologischer Massenvernichtungswaffen, die das Potential der direkten Menschheitsauslöschung in sehr kurzer Zeit in sich bergen. Das Aussterben des Homo sapiens ist nicht nur unvermeidlich, sondern erscheint auch schon bald denkbar zu sein. Somit ist es angebracht, wenn sich unsere Generation Gedanken darüber macht, ob man den zum Aussterben führenden katastrophalen Entwicklungen einfach ihren Lauf lassen sollte oder besser versucht, den „letzten Generationen“ ein erträgliches, ja gar schönes Leben zu ermöglichen.
Zunächst einmal möchte ich zwei Begriffe voneinander abgrenzen: Massenaussterben und Massensterben. Beim Massenaussterben handelt es sich um das Verschwinden vieler (massenhafter) Arten. Beim Massensterben handelt es sich um das Sterben vieler (massenhafter) Individuen. Das letzte Massenaussterben komplexeren Lebens, dem auch die Dinosaurier zum Opfer gefallen sind, wurde vor 66 Millionen Jahren durch einen Kometeneinschlag verursacht, dessen Krater in der Karibik vor der mexikanischen Halbinsel Yucatan zu finden ist. Die anderen vier der fünf von Paläontologen als Massenaussterben komplexen Lebens deklarierten Massenaussterben in der Erdgeschichte sind in Tabelle 3 aufgeführt und wurden nach den vorliegenden Erkenntnissen alle durch Veränderungen der Lebensbedingungen an Land und im Wasser ausgelöst – Veränderungen der Biosphäre und Atmosphäre in relativ kurzer Zeit von Jahrtausenden, Jahrhunderttausenden oder Jahrmillionen.
Tabelle 3: Fünf große Massenaussterben komplexer Arten
Zeit | Benennung des Massenaussterbens |
vor 444 Mio. Jahren | Ordovizisch-silurisches Massenaussterben |
vor 372 Mio. Jahren | Kellwasser-Ereignis (spätdevonisches Massenaussterben) |
vor 252 Mio. Jahren | Massenaussterben an der Perm-Trias-Grenze |
vor 201 Mio. Jahren | Massenaussterben an der Trias-Jura-Grenze |
vor 66 Mio. Jahren | Massenaussterben an der Kreide-Paläogen-Grenze |
Die Erde ist etwa 4,5 Milliarden Jahre alt. Die ersten Mikroorganismen gab es vor etwa 3,5 Milliarden Jahren, der Umbau der Erdatmosphäre von sauerstoffarm zu sauerstoffreich (Energie für das Leben durch Oxidationsreaktionen!) fand vor etwa 3 Milliarden Jahren statt. Vielzelliges Leben entstand vor etwa 1,5 Milliarden Jahren. Vor etwa 0,5 Milliarden (470 Millionen) Jahren gab es die ersten Pflanzen und Gliederfüßer (Insekten, Tausendfüßer, Krebstiere) an Land, vor etwa 0,4 Milliarden (400 Millionen) Jahren die ersten Wirbeltiere an Land. Das erste der fünf von Paläontologen als Massenaussterben komplexen Lebens deklarierten Massenaussterben fiel in diese Zeit, vor etwa 444 Millionen Jahren.
Wenn man die Entstehung der „Menschlinie“ mit dem letzten gemeinsamen Vorfahre von Mensch und Schimpanse gleichsetzt, war dies vor etwa 0,006 Milliarden Jahren (6 Millionen) Jahren. Den Homo sapiensgibt es seit etwa 0,0003 Milliarden (0,3 Millionen) Jahren. Abgesehen von dem durch einen Kometeneinschlag ausgelösten Massenaussterben der Dinosaurier vor 66 Millionen Jahren dehnten sich die anderen Massenaussterben über Jahrtausende, Jahrhunderttausende oder Jahrmillionen. Man kann also vermuten, dass die individuellen Tiere die Veränderungen der Biosphäre, die schließlich zum Aussterben geführt hatten, überhaupt nicht spürten.
Sollte die derzeit stattfindende Anreicherung der Treibhausgase tatsächlich zu einer Veränderung der Biosphäre führen, die mit dem menschlichen Leben nicht mehr vereinbar ist, also ein Aussterben durch „Klimawandel“, muss man sich vor Augen führen, dass diese Veränderungen ungleich viel schneller stattfinden. Während z.B. der CO2-Gehalt der Atmosphäre in den vorindustriellen Jahrtausenden stabil bei 280 ppm (parts per million) lag, ist er innerhalb von 200 Jahren auf inzwischen über 410 ppm gestiegen (die atmosphärische Zusammensetzung der Vergangenheit lässt sich in Lufteinschlüssen in Eisbohrkernen messen). Auch befinden wir uns mitten in einem stattfindenden Massenaussterben anderer Tierarten, welches durch die globale Ausbreitung des Homo sapiens verursacht wird, da wir zu Land und zu Meer Lebensräume beanspruchen, die dann für andere Lebewesen nicht mehr zur Verfügung stehen, zerstört sind oder der für das Überleben der jeweils anderen Art notwendigen Ressourcen beraubt sind. Gleichzeitig habe wir einige domestizierte Arten gezielt vermehrt, so dass z.B. Hühner die individuenreichste Landwirbeltierart (Hühnerbestand von 23 Milliarden Tieren im Jahr 2019) sein könnten.
Massensterben gab es immer wieder in der Menschheitsgeschichte. Hungersnöte und Seuchen kosteten in der Vergangenheit immer wieder viele Menschenleben. Zahlenmäßig konnten die Massensterben vergangener Jahrtausende jedoch niemals so viele Menschenleben kosten, wie die Massensterben des 2 Jahrtausends christlich-abendländischer Zeitrechnung, da es erst in den letzten 500 Jahren zu einem deutlich spürbaren Bevölkerungswachstum gekommen ist. So lag die Weltbevölkerung im Jahr 1800 bei etwa 1 Milliarde Menschen (2019 etwa 7,7 Milliarden Menschen). Die größten Massensterben des Menschen in absoluten Todesopferzahlen fanden also alle im 20. Jahrhundert statt (bzw. stehen uns möglicherweise im 21. Jahrhundert und 22. Jahrhundert bevor). Die größten Massensterben sind menschgemacht: Im 20 Jahrhundert stechen hier die großen Kriege hervor. Am Bekanntesten sind in Deutschland natürlich der erste und der zweite Weltkrieg mit etwa 20 Millionen Toten im ersten und 50-60 Millionen Toten im zweiten Weltkrieg. Die Opferzahl der Spanischen Grippe-Pandemie von 1918 wird mit etwa 50 Millionen beziffert, somit deutlich höher als die des ersten Weltkriegs, dessen Opferzahl mit etwa 20 Millionen angegeben wird (120, 121). Allerdings kann man sich fragen, ob der Krieg der Seuche nicht den Weg geebnet hat und ob die Spanische Grippe ohne den ersten Weltkrieg genauso viele Opfer gekostet hätte.
Auch ist es denkbar, dass Menschen, die im Jahr 1918 an anderen Ursachen verstarben als Opfer der Spanischen Grippe gezählt wurden. Insbesondere hochbetagte Menschen mit anderen Vorerkrankungen mögen anderen Todesursachen zum Opfer gefallen sein, aber dennoch den Opfern der Spanischen Grippe zugezählt worden sein. Allerdings gab es auch zahlreiche recht junge Tote, bei denen die Todesursachenzuordnung „Spanische Grippe“ wohl meist korrekt war. Die Weltbevölkerung lag 1918 bei etwa 1,5 Milliarden, 1940 bei etwa 2,5 Milliarden Menschen . Millionen Menschen verhungerten im 20. Jahrhundert auf dem Indischen Subkontinent, in China und in Afrika. Auch nach dem 2. Weltkrieg sind Kriege Auslöser von Massensterben, so forderte der Vietnamkrieg etwa 3 Millionen Menschenleben und der Irak-Irankrieg von 1980-88 etwa 0,8 Millionen Menschenleben. Auch bei afrikanischen Kriegen, insbesondere den Kongokriegen und assoziierten Ereignissen wie dem ruandischen Völkermord verloren Millionen von Menschen ihr Leben (112).
Obwohl im 20 Jahrhundert so viele Menschen wie in keinem Jahrhundert zuvor durch Massensterben umgekommen sind, ist deren Anteil an der Gesamtweltbevölkerung wieder vergleichsweise gering, da diese im 20 Jahrhundert einfach viel größer ist. Der Dreißigjährige Krieg hat in Mitteleuropa ganze Landstriche entvölkert und der Völkermord an den Ureinwohnern Amerikas könnte 90-95% der 40-60 Millionen vor der europäischen Eroberung im 16. Jahrhundert lebenden „Indianer“ das Leben gekostet haben (37). Die Beschränkung auf relative Zahlen (zusammen mit einem verengten Blick auf westliche Gesellschaften und die recht kurze Zeit nach dem 2. Weltkrieg) kann sogar zu der gewagten Aussage führen, die Menschheit würde immer friedlicher werden (122). Ob es in Jäger-und-Sammler-Gesellschaften je solch umfassende Völkermorde gab wie in Kriegen entwickelter sesshafter Gesellschaften, erscheint jedoch fraglich (40).
Kriegsbedingte Massensterben sind im Prinzip vermeidbar (auch wenn die Propagandaorgane der Eliten der beteiligten Kriegsparteien etwas anderes behaupten). Ob sich die Unbewohnbarkeit der Erde noch vermeiden lässt, gilt hingegen als fraglich. Möglicherweise spielen sich inzwischen zu viele sich selbst verstärkende Mechanismen ab, so dass die Entstehung einer mit dem menschlichen Überleben nicht mehr vereinbaren Atmosphäre nicht mehr aufzuhalten wäre (123).
Auf individueller Ebene könnte man kalenderspruchphilosophisch raten, jeden Tag so zu gestalten, als wenn es der letzte sein könnte. Auf die Menschheit bezogen, könnte man ähnlich raten, das (Zusammen)-Leben so zu gestalten, als wenn die letzten Tage der Menschheit angebrochen wären.
Die Weltbevölkerung liegt derzeit bei 7,7 Milliarden Menschen und wächst weiter, wenn auch regional ungleich. Das stärkste Bevölkerungswachstum ist auf dem afrikanischen Kontinent festzustellen. Flächenmäßig ist Afrika wesentlich größer als wir gemeinhin annehmen, da die winkeltreue Mercator Projektion Regionen fern des Äquators wesentlich größer abbildet als äquatornahe Regionen (Winkeltreue ist für die Schiffsnavigation wichtiger als Flächentreue). Afrika liegt auf dem Äquator. Die Bevölkerungsdichte in Afrika liegt gerade mal bei 40 Einwohnern /km2 (Deutschland 225 Einwohner /km2). Rein flächenmäßig ist in Afrika also noch Platz. Allerdings sind 1/3 der Flächen Afrikas unbewohnbare Wüsten und schon jetzt zeichnet sich ab, dass viele landwirtschaftlich Regionen unter Wassermangel leiden und immer wieder Hungerkrisen drohen oder manifest werden. Da Wassermangel in Zukunft auch auf anderen Kontinenten ein die Agrarproduktion drosselnder Faktor werden dürfte, könnte auch die Nahrungsmittelhilfsbereitschaft anderer Weltregionen abnehmen (oder, zynisch ausgedrückt, deren Bedürfnis landwirtschaftliche Überschüsse nach Afrika abzuleiten.). Stattdessen kaufen Agrarkonzerne anderer reicherer Länder große Agrarflächen in Afrika auf („Land-Grabbing“) um gewinnorientierte Plantagenlandwirtschaft zu betreiben oder Reserveflächen für die Sicherung des zahlungskräftigeren heimischen (außerafrikanischen) Bedarfs vorzuhalten. Die Institutionen afrikanischer Staaten sind in der Regel schon unter Normalbedingungen schwach und kaum zur Bewältigung ernsthafter Krisen in der Lage. Die wachsenden Mega- und Großstädte des Kontinents werden durch Binnenmigranten aus ländlichen Regionen überschwemmt. Küstenstädte werden zudem vom Meer überspült, wobei das Versinken im Meer nur zum Teil durch den Anstieg des Meeresspiegels (Abschmelzen der Polkappen) verursacht wird. Lokale Prozesse wie die Ausbeutung der unter Städten liegenden Grundwasserschichten, der verringerte Schlickeintrag in Fluss-Deltas (Staustufen in Flüssen, Sandabbau für die Bauwirtschaft) und das schiere Gewicht der Betonbauten in den Küstenstädten führen zu einem Absinken der Städte. Zwischen 2015, als die afrikanische Bevölkerung bei etwa 1,2 Milliarden lag, und 2050 wird sich die Bevölkerung Afrikas auf 2,5 Milliarden Menschen mehr als verdoppeln.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die europäischen Völker nicht bereit sind, Masseneinwanderung aus Nachbarregionen uneingeschränkt zu aktzeptieren. Auch fehlen die Migranten in den Auswanderungsregionen, da aus armen Ländern eben nicht die Armen und Geringqualifizierten auswandern, sondern in der Regel einigermaßen gut ausgebildete junge Mittelschichtmänner (124). Diese Abwanderung bedeutet für die Abwanderungsregionen einen „Brain Drain“ und führt in den Zuwanderungsregionen zu erhöhter Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und einem Ungleichgewicht der Geschlechterverteilung mit einem erheblichen Männerüberschuss in den reproduktiv aktiven Altersgruppen. Hierdurch sinken die Chancen für jeden einzelnen Mann in den Zuwanderungsregionen, eine Partnerin zu finden, was zu Spannungen führen kann. In den Auswanderungsregionen bleiben die Armen und die Verarmten zurück. Gleichzeitig werden die Versorgungskosten der in Europa neu eingetroffenen Flüchtlinge auf das Entwicklungshilfebudget angerechnet, gehen also auf Kosten der im Heimatland verbliebenen Armen (in deren Familien auch keine Auslandsüberweisungen eintreffen, da, wie oben erwähnt, die Migranten meist junge Männer sind, die aus Familien stammen, die zumindest genug Resourcen haben, um die Migrationsinvestition aufzubringen). Kurzum: Migration und Flucht werden die Herausforderungen, denen der afrikanische Kontinent gegenübersteht, nicht lösen (125).
In der Geschichte der Menschheit waren dichtbevölkerte Regionen Katalysatoren für Fortschritt, Wachstum und Wohlstand (man denke z.B. an die Niederlande). Bleibt zu hoffen, dass das starke Bevölkerungswachstum in Afrika in den kommenden 2 Jahrzehnten mehr Wohlstand als Elend schafft.
Menschen mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn können an dieser Stelle einwenden, dass Ressourcenverbrauch und Treibhausgasausstoß des durchschnittlichen Europäers viel höher als des durchschnittlichen Afrikaners ist. Das mag sein, macht die Gesamtlage jedoch eher noch bedrohlicher, da davon auszugehen ist, dass Ressourcenverbrauch und Treibhausgasausstoß in Afrika mit steigendem Wachstum (und Wohlstand?) steigen und dass der Verbrauch eines in Europa angekommenen Afrikaners auf das Niveau der Europäer ansteigt. Da unbegrenztes Wachstum in begrenzten Systemen nicht möglich ist, muss auf lange Sicht global auch wachstumsfreier Wohlstand möglich sein.
Kann die Menschheit würdevoll und für den Einzelnen erträglich aussterben?
Wenn nun aber in den kommenden Jahrzehnten Ressourcenverbrauch und Biosphärenzerstörung das menschliche Leben und Überleben bedrohen, werden bei einer Weltbevölkerung von über 8 Milliarden Menschen Leiden und Massensterben von Millionen von Menschen zu denkbaren Horrorszenarien. Egal wie man es dreht und wendet: Ein würdevolles und für den Einzelnen erträgliches Aussterben der Menschen ist mit einer derart hohen Weltbevölkerung nicht möglich. Auch wenn der Homo sapiens die nächsten Jahrhunderte als Art überlebt, erscheinen Massensterben sehr wahrscheinlich. Unsere humanistische Weltsicht (im Sinne der Giordano Bruno Stiftung) bietet eine wertvolle Rahmenethik für unser Zusammenleben. Bedeutet diese Wertschätzung des menschlichen Lebens aber, dass wir einen hoffnungslos überbevölkerten Planeten begrüßen müssen, nur weil wir jedes individuelle menschliche Leben schon vor der Konzeption wertschätzen? Ist bei einem Massensterben oder einem Aussterben ein menschliches (Nicht/Niemals)-Individuum, dass niemals gezeugt wurde und somit nichtexistent ist, nicht besser als ein Individuum ohne Hoffnunung und Perspektive das leidet und elendig stirbt?
In Europa hat sich mit den Antinatalisten eine (Nicht)-Lebensphilosophie entwickelt, welche die Fortpflanzung ablehnt. Dort liegt die Fertilität allerdings schon seit Jahrzehnten unter der Reproduktionsquote von 2,1 Geburten pro Frau. Wachsende Bevölkerungszahlen in europäischen Ländern sind also gänzlich auf Zuwanderung zurückzuführen. Die regional unterschiedlichen Fertilitätsziffern drängen die Schlussfolgerung auf, dass während in Afrika ein Rückgang der Fertilität dringend wünschenswert erscheint, in Europa eine gegenteilige Entwicklung, nämlich ein (geringfügiger) Anstieg der Fertilität geboten scheint. Im Prinzip kann Europa aber auch einen deutlichen Bevölkerungsrückgang verkraften, da (zumindest Westeuropa) zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Erde gehört.
Wenn man die menschzentrierte humanistische Sichtweise verlässt und das Massenaussterben anderer Arten als katastrophalen Verlust betrachtet, wird die Einsicht, dass schlichtweg zu viele Homo sapiens auf der Erde leben, unausweichlich. Alle anderen Lebensformen auf der Erde leiden, wenn die menschliche Bevölkerung wächst. Die konsequenteste daraus folgende Philosophie wird von der „Voluntary Human Extinction Movement (VHMET)“ verfolgt. VHMET kannn man als Bewegung für das freiwillige Aussterben des Menschen oder Bewegung für das Freiwillige menschliche Aussterben übersetzen, wobei wohl die Doppeldeutigkeit des englischen Wortes „Human“ beabsichtigt ist. Kurz zusammengefasst möchten die Anhänger dieser Bewegung, dass der Homo sapiens von der Erde verschwindet, indem einfach die menschliche Fortpflanzung eingestellt werden solle und die letzten Generationen das dann eintretende letzte Jahrhundert der Menschheit unter angenehmen Umständen zubringen solle. Statt Massenaussterbekatastrophen würde die (dann kurze) Zukunft der Menschheit in einem menschenwürdigen „Auslaufenlassen“ bestehen. Ein völliges Sistieren der menschlichen Geburten erscheint aus heutiger Perspektive unwahrscheinlich. Leiden und Sterben ließe sich aber in Generationen, die von katastrophalen, zum Aussterben führenden Entwicklungen betroffen sind, nur minimieren, wenn es in der Periode des Aussterbens möglichst wenig Menschen gibt, also möglichst wenige Angehörige der dem Umtergang geweihten Generationen geboren würden.
Die Anhänger der VHMET-Bewegung sehen sich also keineswegs als Menschenhasser, sondern sehen das freiwillige, menschenwürdige Aussterben als menschenwürdige Alternative zum menschenunwürdigen katastrophalen Untergangsaussterben. Dieses stehe uns nämlich unweigerlich bevor, wenn wir weiterhin die Grenzen des Wachstums unter Leugnung der unvermeidlichen Konsequenzen überstrapazieren. Zudem spielt die Tatsache, dass auf Erden gerade ein durch den Homo sapiens verursachtes Massenaussterben stattfindet, eine große Rolle in der Weltanschauung der VHMET Bewegung. Demnach solle der Mensch all diesen Arten, deren Existenz durch das Übergewicht des Menschen auf Erden gefährdet ist, die Erde zurückgeben.
Man muss nicht fordern, dass die Menschheit gänzlich von der Erde verschwindet um einige Überlegungen der unterliegenden Philosophie anzuerkennen: Ein Aussterben des Homo sapiens durch Habitatverlust (aber auch durch mit Massenvernichtungswaffen ausgefochtene Konflikte) ist mit viel Leid verbunden und würde den letzten Generationen der Menschheit ein menschenwürdiges Leben unmöglich machen. Selbst wenn wir unserere Überlebensperspektiven wesentlich optimistischer einschätzen als die VHMET Bewegung, müssen wir anerkennen, dass sie in einer Sache absolut recht hat: Die einzige Möglichkeit, menschenunwürdiges Massensterben zu vermeiden, ist ein Rückgang der Weltbevölkerung und der einzige menschenwürdige Weg, dies zu erreichen ist die Reduktion der Geburten. Auch wenn die Menschheit nicht in absehbarer Zeit ausstirbt, wäre die Geburtenmäßigung kein Fehler, da die Umweltbedingungen der unsere Lebensumstände ausmachenden Habitate und Biosphäre auf einer weniger stark bevölkerten Erde sich eher verbessern würden. Allerdings müssten Wohlstand und Wohlergehen vom Wachstum abgekoppelt werden. Vor dem weltweiten Wirtschaftszusammenbruch des Jahres 2020 fürchteten Ökonomen kaum etwas so stark wie eine Rezession, da diese zu Arbeitslosigkeit, Armut und Verelendung führt. Wohlergehen ohne Wirtschaftswachstum klingt banal, aber scheint im derzeitigen Wirtschaftssystem kaum erreichbar zu sein.