13. Gentechnische Veränderungen höherer Lebewesen

Im Folgenden möchte ich die technischen Neuerungen, die gezielte Eingriffe ins menschliche Genom möglich machen, zusammenfassen. Für technische Details sei auf Spezialliteratur verwiesen. Hier sollen nur die Prinzipien benannt werden und wie sie zu gentechnischen Manipulationen verwendet werden können.

Klonales Wachstum

Das Darmbakterium Escherichia coli ist das liebste Haustier des Gentechnikers. Unter optimalen Bedingungen teilen sich E. coli alle 20 Minuten. Durch Einbringen von, zu vermehrenden ringförmigen DNS Bestandteilen (Plasmide) lassen diese sich in E. coli mitvermehren. Wenn der Gentechniker also ein bestimmtes Gen oder einen DNS-Abschnitt in großen Mengen braucht, kann er es in ein Plasmid einbauen, in E. coli einbringen und die das Plasmid enthaltenden E. coli Bakterien über Nacht in einer Kultur vermehren.

 

Komplexe, vielzellige Organismen vermehren sich meist nicht über klonales Wachstum, sondern sexuell. Bei klonaler Fortpflanzung wird das, lediglich durch Mutationen veränderte komplette Genom, von einer zur nächsten Generation weitergegeben. Bei sexueller Fortpflanzung setzt sich das Genom der Folgegeneration jeweils zur Hälfte aus dem mütterlichen und väterlichen Genom zusammen.

 

Dennoch sind auch bei komplexen, vielzelligen, sich sexuell fortpflanzenden Organismen klonale Zellvermehrungsprozesse allgegenwärtig. Bei der mitotischen Zellteilung, die allen Wachstums- und Regenerationsprozessen zu Grunde liegt, sehen wir innerhalb des Organismus klonale Prozesse. Bei der Mitose entstehen aus einer Zelle zwei identische Tochterzellen mit identischem, diploidem Genom. Lediglich bei der Bildung von Geschlechtszellen (Eizelle und Samenzellen) durch Meiose laufen die Zellteilungen nichtklonal ab.

DNS und RNS Stränge schneiden und wieder zusammenfügen

Derzeit wird viel über die CRISPR/Cas9-Methode geschrieben, mit der gezielte Genommodifikationen möglich geworden sind. Tatsächlich hat CRISPR/Cas9 die Eingriffe an DNS- und RNS-Strängen in Genomen mit einer vorher noch nicht gekannten Präzision möglich gemacht. Aber die erste Genschere ist die Methode nicht. Bevor wir uns also der CRISPR/Cas9-Methode zuwenden, schauen wir uns zunächst einmal die Genscheren an, die Molekulargenetiker schon seit Jahrzehnten im Werkzeugkasten haben. Die Restriktionsenzyme (Restriktionsendonukleasen) können an bestimmten Sequenzen gezielt den DNS-Strang schneiden. Als Medizindoktorand nutzte ich zirkuläre vorgerfertigte DNS-Ringe, sogenannte Plasmide, um einen bestimmten Genabschnitt zu vervielfältigen. Hierbei wird der zu vervielfältigende Genabschnitt in das Plasmid eingebaut, das Plasmid in Bakterien, meist E.coli, eingeschleust und die Bakterien auf einer Agarplatte ausgestrichen. Um sicherzustellen, dass bevorzugt die Bakterien sich vermehren, die Plasmide mit dem zu vervielfältigenden Genabschnitt (Insert) enthalten, trägt das Plasmid ein Antibiotikaresistenzgen und die Agarplatte enthält das entsprechende Antibiotikum. Da dennoch Bakterienkulturen wachsen, die das Plasmid ohne Insert enthalten, trägt das Plasmid zusätzlich ein Gen für die Produktion eines blauen Farbstoffes, dessen Expression jedoch in Plasmiden mit Insert unterbrochen wird. Auf der Agarplatte finden sich am nächsten Tag also blaue und weiße Kulturen. Eine das Insert enthaltende weiße Kultur wird in eine Flüssigkultur überführt und vermehrt.

 

Zum Einbau des Inserts in das Plasmid kommen besagte Restritionsenzyme zum Einsatz. Das Restriktionsenzym EcoRI schneidet zum Beispiel an der Erkennungssequenz 5’-GAATTC-3’mit 3’-CTTAAG-5’im Gegenstrang. Abbildung 1 zeigt den Schnitt schematisch:

 

Abbildung 1:           Beispiel einer Erkennungssequenz für ein Restriktionsenzym, in diesem Fall EcoRI.


Die CRISPR/Cas9 Methode

Die CRISPR/Cas9-Methode baut also auf langjährigen Erfahrungen mit Enzymwerkzeugen auf. Was die Technik so leistungsstark macht, ist die Ermöglichung gut gezielter Veränderungen des Genoms ganzer Organismen, inklusive des Menschen. Hierbei wurden bei CRISPR/Cas9 der Vorgang der Zielfindung und das Schneiden selbst auf 2 verschiedene Enzyme aufgeteilt. Mit CRISPR kann man, dank einer „Guide-RNS“, eine Ziel-DNS Sequenz im Genom zielgenau erkennen, Cas9 ist eine Endonuklease, die die entsprechende Sequenz dann schneidet. Das CRISPR/Cas System ist ursprünglich eine Komponente der bakteriellen Immunnabwehr gegen Viren, wobei Cas9 das „Zerstörerprotein“ darstellt. Durch die in CRISPR enthaltenen, zu viralen Sequenzen äquivalenten RNS Abschnitte wird das Cas-Zerstörerprotein an sein Ziel geführt.

 

Der Gentechniker synthetisiert also zunächste eine „Guide-RNS“, deren Sequenz der Zielsequenz des herauszuschneidenden DNS-Stücks entspricht. Die Guide-RNS lagert sich an die inverse DNS-Sequenz des Gegenstrangs an und Cas9 schneidet die Sequenz heraus. Nun können die Strangenden wieder verknüpft, oder ein Insert eingesetzt werden. Das CRISPR/Cas9 System funktioniert in lebenden Zellen und durch die Guide-RNS wird der Eingriff an multiplen Stellen durchgeführt, an denen die entsprechende Zielsequenz vorhanden ist.

 

Somit hat das Prinzip alle Eigenschaften, die für einen Einsatz als Gentherapieinstrument notwendig sind: Zielgenauigkeit, Einsetzbarkeit in der lebenden Zelle und Erreichen des Ziels an multiplen Orten.

 

Für die Implikationen eines solchen Eingriffs ist noch die Unterscheidung zwischen somatischer Genmodifikation und die Keimbahn betreffender Genmodifikation von Bedeutung. Somatische Eingriffe erfolgen an Körperzellen. Eine Zukunftsvision der Diabetesbehandlung ist z.B. die somatische gentherapeutische Behandlung des Diabetes durch gentechnische Herstellung insulinproduzierender Zellen. Ein solcher Eingriff würde nur das behandelte Individuum betreffen.

 

Bei Keimbahneingriffen hingegen wird die genetische Änderung am Genom der Keimzellen vorgenommen (Ei- oder Samenzelle) mit dem Ziel, das veränderte Genom zum Basisgenom der befruchteten Zygote zu machen, aus der dann durch mitotische Zellteilungen der Embryo und schließlich das neue Individuum heranwächst, welches dann das veränderte Genom trägt. Keimbahneingriffe könnten im Prinzip zur Verhinderung genetischer Geburtsdefekte, also von Erbkrankheiten, verwendet werden. Derzeit werden sie jedoch als noch zu risikoreich angesehen (92).  Dennoch: Mit CRISPR/Cas9 steht etwas zur Verfügung, das man mit der Suchen/Ersetzen Funktion eines Textverarbeitungsprogramms vergleichen kann, nur, dass die Information nicht semantisch verbal, sondern in Form von genetischen Anlagen vorliegt und die Sprache der genetische Code ist.

Zwillingsschwestern mit einem gezielt veränderten CCR5-Rezeptorgen

Im Vorfeld des „Second International Summit on Human Genome Editing“ in Hongkong hat die Behauptung eines chinesischen Wissenschaftlers, eine gezielte Veränderung des CCR5-Gens von Zwillingsschwestern, die gerade geboren worden seien, vorgenommen zu haben für Aufregung gesorgt. Dr He Jankui hatte bei 7 für Fertilitätsbehandlungen vorbereiteten Embryos eine gezielte Mutation vorgenommen, wobei bisher eine Schwangerschaft zustande kam. In allen Fällen war der Vater HIV positiv und die Mutter HIV negativ (93). Es ist bekannt, dass eine Mutation des CCR5-Gens vor HIV-Infektionen schützt. Allerdings ist der HIV-Infektionsstatus der Eltern zweitrangig, da eine Infektion der Eizelle durch HIV über das sie befruchtende Spermium sehr unwahrscheinlich ist und noch unwahrscheinlicher wird, wenn das Spermium bei der Vorbereitung zur in vitro Fertilisation einen Waschschritt durchlaufen hat. Der die Genbehandlung rechtfertigende Nutzen besteht also lediglich aus dem Schutz vor HIV-Infektionen im späteren Leben. Allerdings könnte dieser Schutz gegenüber HIV auf Kosten einer erhöhten Anfälligkeit für andere Erkrankungen erkauft sein; so ist bekannt, dass Individuen mit CCR5-Mutationen anfälliger für schwere Verläufe des Westnilvirusfiebers sind. Zudem sind die Geneditierungsverfahren noch in einem experimentellen Stadium und können zu Mutationen an anderen Stellen („off Target“) führen, die wiederum zu unvorhersehbaren genetischen Problemen führen können, oder das Krebsrisiko steigern können. Es steht sogar die Behauptung im Raum, die CCR5-Mutationen wirkten lebensverkürzend, allerdings war eine lebensverkürzender Effekt der Mutation statistisch nicht zu belegen und die Publikation, die dies behauptete wurde inzwischen zurückgezogen (94).

 

Das CCR5-Gen codiert für einen Obeflächenrezeptor, der von HIV Viren als Co-Rezeptor für die Infektion von Lymphozyten und Makrophagen genutzt wird, weshalb Individuen mit einem veränderten (defekten) CCR5 Rezeptor vor HIV geschützt sind. Was diesen Eingriff besonders brisant macht, ist die mögliche Assoziation von CCR5 mit Hirnfunktionen und kognitiven Fähigkeiten. Mäuse mit der CCR5 Deletion hatten ein besseres Erinnerungsvermögen (95). Auch konnte an Mäusen gezeigt werden, dass das Blockieren von CCR5 zu einer besseren Regeneration von Neuronen nach Schlaganfällen führt. Dies ist konsistent mit der Beobachtung, dass Menschen mit einer CCR5 delta32 Mutation (die sie vor HIV schützt) eine schnellere Neuroregeneration nach einem Schlaganfall zeigen (96). Menschen mit CCR5 delta32 Mutation scheinen auch länger in der Schule zu bleiben, also seltener die Schule abzubrechen. Es scheint also recht wahrscheinlich, dass der vorgenommen genetische Eingriff einen Effekt auf die kognitiven Funktionen der Zwillinge, wahrscheinlich im Sinne einer Verbesserung kognitiver Funktionen, hat (97).

Dolly (1996-2003)

Dolly wurde im Februar 1997 in wenigen Tagen zum berühmtesten Schaf zwischen Nord- und Südpol und ging in unser kollektives Gedächtnis ein. Dolly war ein Klonschaf. Sie wurde in Edinburgh aus einer voll ausdifferenzierten Körperzelle (also nicht aus Keimbahnzellen) geklont und war somit das erste geklonte Säugetier. Für die Klonierung wurden Eizellen von schottischen Schafen der Rasse „Scottish Blackface“ mit Zellkernen aus Euterzellen der Rasse „Fin Dorsett“ angeimpft. Aus den 277 angeimpften Eizellen entstanden 29 Embryonen, von denen ein Embryo überlebte. Dolly wurde von einem Leihmutterschaf der Rasse „Scottish Blackface“ ausgetragen. In einem Interview mit der New York Times berichtete Ian Wilmut, der Laborleiter, dass alle zuvor geborenen Klontiere kurz nach der Geburt verstorben waren. Dolly war also nicht das erste geklonte Säugetier das geboren wurde, sondern das erste geklonte Säugetier, das überlebte.

 

Dolly wurde 6 Jahre alt. Schafe werden normalerweise um die 10 Jahre, maximal 20 Jahre alt. Dolly wurde eingeschläfert, nachdem sie an Lungenadenomatose, einer durch ein Schaf-Retrovirus hervorgerufenen broncho-alveolären Krebsform erkrankt war. Die Umstände ihres Todes sind also wahrscheinnlich von den Umständen ihrer Entstehung durch Klonierung unabhängig. Allerdings hatte Dolly starke Arthrose und Arthritis, weshalb diskutiert wird, ob sie frühe Alterserscheinungen entwickelte, da die implantierten Zellkerne aus einem erwachsenen Tier mit entsprechend „gealtertem Genom“ stammten (98).

 

 

Risiken der Genomveränderung für das Individuum

Risikoerwägungen für das Individuum, also für die Person, deren Genom modifiziert wird, sind natürlich hochspekulativ, da wir davon ausgehen, dass wir diese schlichtweg kaum vorhersagen können und ein Risiko erst wahrnehmen können, wenn es manifest geworden ist. Auch ist es schwierig zu sagen, ob eine sich einstellende Krankheit Folge der Genommodifikation ist, insbesondere wenn seitdem schon viel Zeit verstrichen ist.

 

Fangen wir mit dem Risiko des Klonens an. Hierbei wird gerade keine Veränderung des Genoms vorgenommen und sogar die bei der Fortpflanzung natürlich stattfindende Mischungen zwischen beiden Elterngenomen unterbleibt. Beim Klonen wird eine Eizelle entkernt und mit dem gesamten diploiden Genom (2×23 Chromosomen beim Homo sapiens) aus einem Zellkern des zu klonenden Individuums ausgestattet. In jeder unserer Körperzellen haben wir diploide Chromosemensätze mit 2×23 = 46 Chromosomen. Eine Eizelle ist haploid, trägt also normalerweise einen einfachen Chromosomensatz, so dass sich bei der sexuellen Fortpflanzung die haploiden (1×23) Chromosomensätze der Eizelle und der Spermienzelle unter verschiedenen Genomabschnittsaustauschereignissen zu einem diploiden Chromosomensatz ergänzen können. In Körperzellen haben wir jeweils diploide (2×23) Chromosomensätze.  

 

Das Klonschaf Dolly wurde durch Einbringen eines diploiden Chromosomensatzes (2×27 Chromosomen bei Schafen) aus einer Körperzelle (aus dem Euter), die in eine entkernte Eizelle „eingebaut“ wurde, gezeugt. Das Ausgangsgenom Dollys war also nicht durch Vereinigung zweier Chromosomensätze frisch entstanden, sondern ein bereits existierendes, diploides Genom. Die Implementierung eines diploiden Körperzellgenoms in eine entkernte Eizelle klingt vom mechanischen Vorgang her einigermaßen einfach, jedoch muss man sich vor Augen führen, dass für Dolly 277 Eizellen „angeimpft“ wurden, woraus 29 Embryonen entstanden, von denen nur ein Embryo überlebte – Dolly.

 

Was hier manchmal unter den Tisch fällt, ist die Tatsache, dass Dolly zwar bei der Geburt ihren ersten Lebenstag erlebte, aber dass ihr Genom aus einem Organismus stammte, der an Dollys erstem Lebenstag schon 6 Jahre alt war (99). War also Dollys genetisches Alter 6 Jahre älter als ihr Lebensalter? Ob Klonierungen über mehrere Generationen zu kumulativen Schadeffekten durch vorgealterte Genome führen? Auf die Weiterklonierung von Dolly wurde zumindest verzichtet. Tatsächlich waren die Telomerregionen der Chromosomen Dollys etwas kürzer. Telomere sind Endregionen der chromosomalen DNS.  Sie spielen eine Rolle beim Entwinden der DNS Stränge für die Bildung des kopierten Genoms bei der Zellteilung. Da an den Enden der Endstücke ein kleiner Abschnitt DNS nicht mitkopiert wird, ist der DNS-Tochterstrang immer geringfügig kürzer (und zwar um die kurzen nichtmitkopierten Enden der Telomere). Deshalb nimmt die Telomerlänge von Zellteilung zu Zellteilung über die Zellgenerationen ab. 

 

Allerdings wurden von derselben Arbeitsgruppe, die Dolly schuf, weitere Klonschafe mit demselben Euterzellgenom produziert, von denen die Forscher behaupteten sie würden, wenn sie die Postnatalperiode überlebt hatten, ein normales und gesundes Leben ohne Anzeichen vorzeitigen Alterns leben. Eine im Alter von 7-9 Jahren untersuchte, aus 13 geklonten Schafen bestehende Kohorte sei demnach normal hinsichtlich Gelenkstatus, Blutdruck und metabolischer Faktoren (100). Eine andere Frage, die sich bei klonierten Säugetieren aufdrängt, ist die nach der eigenen Fortpflanzungsfähigkeit. Für Dolly war diese sicherlich gegeben. Insgesamt brachte Dolly in ihrem Leben 6 gesunde Lämmer zur Welt, die alle mit dem Schafbock David natürlich gezeugt worden waren (101).

 

Wie bei allen Technologien könnten initial mit Problemen und Pannen belastete Vorgänge zu Routineprozeduren werden, deren Ergebnisse sich mit der gewonnenen Erfahrung verbessern. Inzwischen werden Tiere nicht mehr nur in experimentellen Forschungslaboren geklont, sondern auch schon industriell zu kommerziellen Zwecken. Auf die erhöhte Nachfrage nach Schweinefleisch wird in China inzwischen auch mit industriellen Klon-Schweinezuchten reagiert (102). Die Klonierungswissenschaft hat etwas unter dem Skandal um den südkoreanischen Wissenschaftler Hwang Woo-suk gelitten, dem zahlreiche Fälschungen seiner zuweilen spektakulären Stammzellforschungsergebnisse und Klonierungsprojekte nachgewiesen wurden. Immerhin aber war wohl Snuupy tatsächlich im Jahr 2005 der erste geklonte Hund. Im Gegensatz zur Klonierung von Paarhufern ist die Klonierung von Hunden aufgrund der begrenzten Phasen, in denen Hündinnen Eizellen produzieren, die fruchtbar sind, schwieriger.

 

Risiken für das Individuum bei somatischen, also nicht-keimbahnwirksamen genetischen Modifikationen

Für die Gesellschaft oder auch die Menschheit im Ganzen erscheinen somatische Genmodifikationen, die nicht an die nächste Generation weitergegeben werden können, weniger folgen- und somit weniger risikoreich als keimbahnwirksame Genommodifikationen. Direkte Auswirkungen auf zukünftige Generationen sind bei somatischen Genmodifikationen nicht zu erwarten. Die potentiell resultierenden Ungerechtigkeiten, die entstehen können, wenn genetische Selbstoptimierung eine Frage von Reichtum und Armut oder Status ist wird weiter unten im Kapitel „Zugang zur Ressource genetische Optimierung“ diskutiert.

 

Wenn man solche potentiellen Ungerechtigkeiten ausklammert, erscheint es schwierig, individuelle Selbstoptimierungswünsche prinzipiell abzulehnen. Bei einer somatischen Genommodifikation wird auch das medizinische Risiko, also das Risiko, dass die Person, deren Genom modifiziert wird, hiervon Schäden erleidet, selbst getragen. Die Person, die sich informiert für den genetischen Eingriff entscheidet, ist allein von dessen Folgen betroffen, im Gegensatz zur Keimbahngenommodifikation, deren Folgen den Nachwuchs betreffen, der keine Möglichkeit hat an der Entscheidung zum Eingriff beteiligt zu werden. (Wenn man in dieser Richtung konsequent weiterargumentiert müsste man allerdings die Zeugung von Nachwuchs und somit menschlichem Leben an sich ablehnen, da ja kein Mensch auf der Erde an der Entscheidung, ins Leben geworfen zu werden, beteiligt wurde – die Antinatalisten vertreten eine solch konsequente Position).

 

Derzeit können wir allerdings das Risiko somatischer Genommodifikationen für das Wohlergehen des Menschen, dessen Genom modifiziert wird, nicht abschätzen. Eine solche Fachkenntnis setzt Erfahrung voraus, für deren Akquise Modelle in Zellkultur und Tierversuchen irgendwann nicht mehr ausreichen werden. Wahrscheinlich scheint hier eine Übergangsphase, in der nachteilige Effekte für das menschliche Individuum noch nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden können, zugleich jedoch diese Expertise ohne tatsächliche Anwendung am Menschen nicht zu gewinnen ist. Zur Korrektur schwerwiegender genetischer Defekte im Sinne eines Heilversuchs erscheint die Erteilung einer ethischen Freigabe unter solchen Bedingungen noch naheliegend. Deutlich zweifelhafter ist die Situation, wenn es sich um Eingriffe mit Enhancement-Charakter handeln, die eher als „Lifestyle-Eingriffe“ zu werten wären.

 

Insbesondere Krankheiten, bei denen ein einzelnes Gen defekt ist bzw. die Funktion eines einzelnen Gens ausfällt sind interessant für somatische Gentherapieansätze. Bei den kongenitalen retinalen Dystrophien handelt es sich um eine heterogene Gruppe angeborener Netzhautdegenerationserkrankungen, die zu zunehmender Sehschwäche bis zur Erblindung führen. Mehr als 100 Genloci sind bislang identifiziert worden, wo Mutationen zu dieser schlimmen Augenkrankheit führen. Obwohl es so viele Genloci für diese Krankheit gibt, stellt sie ein attraktives Ziel für Gentherapien dar, da die Krankheit beim Individuum durch eine dieser Mutationen zu Stande kommt (und nicht durch das Zusammenspiel verschiedener Mutationen). Die Leber’sche kongenitale Amaurose kommt sowohl bei bei Briard-Hunden als auch bei Menschen durch Mutationen des sogenannten RPE65 Gens vor. Durch die Verfügbarkeit eines guten Tiermodells war eine wichtige Vorraussetzung für die Etablierung einer somatischen Gentherapie erfüllt. Zudem bietet sich die Krankheit für lokal gut ansteuerbare Gentherapieinjektionen an. Adenoviren werden als Vehikel für die einzubauenden normalen Kopien des RPE65 Gens gezielt in das betroffene Gewebe der Retina injiziert, wodurch das Risiko systemischer Nebenwirkungen reduziert wird (103). Ende 2017 wurde diese Gentherapie durch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA zugelassen (104). Allerdings muss man in diesem Zusammenhang auch auf die Risiken gentherapeutischer Ansätze hinweisen, da es auch schon zu Todesfällen durch die gentherapeutischen Adenovirusinfektion kam (105).

 

Prinzipiell ist es also möglich, monogenetische Erkrankungen zu therapieren und inzwischen gibt es sogar schon die ersten offiziell zugelassenen Therapien. Dennoch wird die Zahl der von genetischen Erkrankungen Betroffenen wohl eher durch Pränataldiagnostik als durch Therapie  reduziert werden: Derzeit ist die Pränataldiagnostik noch mit einer invasiven Fruchtwasseruntersuchung verbunden, bei der mit einer Hohlnadel in die Fruchtblase gestochen wird, um an fötale Zellen zu gelangen, deren Genom dann untersucht werden kann. Seit langer Zeit ist bekannt, das sich aber auch im Blut der Mutter fötale Zellen befinden, die das komplette Genom des Fötus enthalten, allerdings in sehr geringen Konzentrationen (< 1:1 Mio.). Dennoch erscheint die Pränataldiagnostik aus Fötalzellen, die aus dem maternalen Blut gewonnen wurden, inzwischen in erreichbare Nähe gerückt zu sein (106). Parallel dazu können immer mehr genetische Loci in einem Untersuchungsgang gescreent werden. Wenn die Pränataldiagnostik also methodisch leichter, weniger invasiv und umfassender wird, können immer mehr Gendefekte frühzeitig erkannt werden. Die entsprechenden Schwangerschaften werden in solchen Fällen häufig beendet.

Somit bringt die Pränataldiagnostik viele ethische Fragen mit sich, z.B. welche Genloci erfasst werden sollen. Die mit Gendefekten verbundenen Krankheitsbilder müssten schon gravierend genug sein, um eine Abtreibung zu rechtfertigen. Zudem kann von einem Genotyp nicht immer auf die Ausprägung des Phänotyps geschlossen werden. Was tun mit bekannten Gendefekten, die bei manchen Betroffenen nahezu unbemerkt bleiben und bei anderen schwere Krankheiten und Behinderungen verursachen? Auch findet die Pränataldiagnostik in recht fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadien statt, so dass die Abtreibung mit der Tötung eines schon recht weit entwickelten Lebens einergeht. Aneuplodiescreening fötaler Zellen aus maternalem Blut wurde zwar schon erfolgreich durchgeführt, allerdings stammten die Zellen aus der 23 Schwangerschaftswoche (107). Mit guter Versorgung können Frühgeborene in diesem Alter schon überleben. Bei Aneuploidien fehlt ein Chromosom oder es ist eins überzählig. Die meisten Aneuploidien führen zum spontanen Abgang des Embryos, jedoch können Menschen mit Trisomie 21 (Down Syndrom) ein langes und glückliches Leben führen.