12. Selektierende Eugenik und Eugenik durch gentechnische Optimierung

Eugenik zielt zunächst mal darauf ab, die genetische Qualität menschlicher Populationen zu verbessern. Dieses Ziel muss hierbei nicht zwangsläufig für die ganze Menschheit gelten. Bisherige Eugenik Aktionen zielten vielmehr darauf ab, gewisse Gruppen (Volk, Nation, „Rasse“) selektiv zu begünstigen. Die genetische Qualität der gewählten Gruppe sollte also auf lange Sicht verbessert werden; auch relativ zu anderen identitätspolitischen Gruppen, und deren genetische Qualität übertreffen. Eugenik-Aktionen waren hierbei negativ selektierend, wobei Menschen der genetisch zu unterdrückenden Gruppe die Fortpflanzung erschwert wurde oder diese ermordet wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Verschleppung und Ermordung von als „nicht-arisch“ klassifizierten Menschen im Nationalsozialismus.

Bei der positiv selektierenden Eugenik wird angestrebt, Angehörige genetisch „hochzuzüchtender“ Gruppen (z.B. „Rassen“) bei der Fortpflanzung zu begünstigen, indem sie bei der Partnersuche gemäß „Zuchtplan“ unterstützt werden und ökonomische Bevorzugungen und Begünstigungen bekommen.  Ein Beispiel für positiv selektierende Eugenik der Nationalsozialisten war die Aktion Lebensborn, bei der arische Paare bei der Fortpflanzung gefördert wurden und „arische“ Kinder und Heranwachsende in Lebensbornheimen gesammelt wurden, um sie mit geeigneten arischen Partnern zur Fortpflanzung zu bringen.

Inzwischen bahnt sich eine weitere Form der Eugenik an: Eugenik durch gezielte genetische Eingriffe, die, wenn sie an der Keimbahn erfolgen (Eizelle/Samenzelle) über Generationen weitergegeben werden können und somit eugenisch wirksam würden.

Negativ selektierende Eugenik (Eugenik durch Mord)

Berühmt berüchtigtes Beispiel für negative selektierende Eugenik durch Mord an Menschen, deren Wert im Genpool als minderwertig eingestuft wurde sind die rassistisch motivierten Massenmorde der Nationalsozialisten. Die Mitschuld von Ärzten und Wissenschaftlern an diesen Verbrechen lässt sich nicht leugnen. Für die Rechtfertigung und vermeintliche Legitimierung des Genozids lieferten willfährige Wissenschaftler die verquere sozialdarwinistische, rassistische Ideologie, nach der die Schergen des Systems Menschen selektierten und damit über deren Tod oder Überleben entschieden.

Bei der Ankunft neuer, mit Menschen überladener Güterwagen in Konzentrationslagern warteten Mediziner auf der Rampe und sortierten die Menschen in arbeitsfähig oder sonstwie zu gebrauchen und nicht arbeitsfähig, was oftmals die Tötung in den Gaskammern der Konzentrationslager noch am selben Tag bedeutete. Diese Selektion war menschenverachtend und grausam, dennoch taugt die Selektionsrampe des Konzentrationslagers nur begrenzt als Beispiel für die brutalen Seiten der Eugenik, da sie eigentlich kaum noch eugenisch motiviert war. Menschen, die als arbeitsfähig eingestuft wurden, sollten sich ja später nicht fortpflanzen, sondern durften nur deshalb weiterleben, weil deren Arbeitskraft noch ökonomisch verwertbar war. Die negativ selektierende Auslese hatte im Grunde schon vorher stattgefunden, nämlich bei der Verschleppung ins Konzentrationslager. Das gesamte Mordprogramm war demnach durchaus eugenisch motiviert, die Auslese an der Rampe diente dann nur noch dazu, aus den eugenisch Aussortierten ökonomisch noch das Letzte herauszuholen und deren Arbeitskraft auszubeuten.

Positiv selektierende Eugenik (Eugenik durch Fortpflanzungsförderung)

Im viktorianischen England setzte sich Francis Galton für eine Bevölkerungspolitik (heute würde man von Familienpolitik sprechen) ein, die Anreize für das Wachstum leistungsstarker, verdienter Familien setzte, also deren Fortpflanzung gezielt förderte. Dies ist ein typisches Beispiel positiver Eugenikkonzepte. Eine durch positiv selektierende Eugenik motivierte Familienpolitik verteilt soziale Zuwendung also nicht nach Bedürftigkeit sondern nach Kriterien, von denen man sich einen Fortpflanzungsanreiz für Familien erhofft, deren Fortpflanzung als erwünscht angesehen wird. Kriterien der Bevorzugung können Rasse, Klasse, Religion oder wie auch immer gemessene „Tüchtigkeit“ der Familienverbünde bzw. der Individuen, die sich fortpflanzen wollen (sollen), sein.

Bevölkerungspolitische Maßnahmen mit eugenischen Zielsetzungen waren Anfang des 20. Jahhunderts in mehreren Ländern zu beobachten. In den USA verabschiedeten mehrere Bundesstaaten Gesetze, die Zwangssterilisierungsmaßnahmen legitimierten. Diese wurde insbesondere zur Sterilisierung von Gefängnisinsassen oder Menschen mit Behinderungen angewendet. Zwangssterilisierungen stellen negativ selektierenden Eugenikmaßnahmen dar.

Eugenik durch direkte gentechnische Optimierung des menschlichen Genoms

Bei der direkten genetischen Optimierung des menschlichen Genoms besteht ein nicht zu vernachlässigender konzeptueller Unterschied zur (durch Zuchtwahl) positiv selektierenden und negativ selektierenden Eugenik: Es werden keine Menschen selektiert. Bei selektierenden Eugenikformen ist Ungerechtigkeit ein Wesenszug des Verfahrens. Die eugenische Maßnahme besteht ja in der bevorzugenden oder benachteiligenden Selektion. Eine Eugenik unter gerechter Gleichbehandlung ist bei den selektierenden Ansätzen unmöglich, da diese das Wesen der selektierenden Eugenik ausmachen. Eine gentechnische Optimierung des menschlichen Genoms könnte im Prinzip an allen Menschen durchgeführt werden ohne bevorzugende oder diskriminierende Selektion. (Dies würde allerdings andere ethische Prinzipien hinsichtlich der Selbstbestimmungsrechte verletzen).

Genetische Optimierung kann auch so erfolgen, dass die Optimierung nicht über Generationen erhalten bleibt, sondern nur dem Individuum zu Gute kommt. Dies ist beispielsweise bei einer individuellen Gentherapie der Fall. Es wird hierbei nur das Erbgut von Körperzellen verändert, während das Erbgut von Ei- und Samenzellen unangetastet bleibt. Wenn genetische Verbesserungen jedoch über die Keimbahn erfolgen („Designer­babys“), werden diese an die Nachkommen weitergegeben und somit eugenisch wirksam.